Texte aus dem Jahr 2010
Text zu "The Feeling of What Happens (Henry 2)"*
Rede zu Ausstellungseröffnung
Eine Ausstellung im Cuxhavener
Kunstverein vom 30. April bis zum
6. Juni 2010.
Zur Ausstellung ist ein Katalog
erschienen, den es hier als
pdf-Datei gibt.

von Nora Sdun

Zeichen sind Absprachen dessen, was man niemals für falsch halten darf.

Haben sie einen Führerschein? Haben sie gar einen Sportbootführerschein? Nähen sie womöglich nach Schnittmustern? Können sie ein I-Phone bedienen oder einen Computer?

Und wie lange hat es gedauert bis Sie die Zeichen, mit denen man dort jeweils konfrontiert wird, den Funktionen zugeordnet haben? Ein paar Wochen werden es bestimmt gewesen sein, und wenn man nicht häufiger mit den Zeichen zu tun hat vergisst man einfach wieder was sie bedeuten.

Das einzige was man nicht vergisst, ist, dass es Zeichen sind.

So geht es auch mit dieser Rauminstallation, man ist sich sicher, dass es sich bei der Masse der Bestandteile um Zeichen handelt, aber was sollen diese bezeichnen?

Nun, Sie sind sicher herzlich eingeladen bis zum 6 Juni, und das sind immerhin 5 Wochen, so oft wie irgend möglich diese Ausstellung zu besuchen und ich verspreche Ihnen, dass Sie binnen dieser Zeit für einen großen Teil dieser Zeichen die Bedeutungen erlernen können. Die Bedeutungen hat der Künstler Hannes Kater nämlich festgelegt, und er hält sich an einmal mit sich selbst gemachte Verabredungen. Diese Verabredungen werden umfassend erklärt und erläutert auf der Website des Künstlers, aber auch, in der zu diesem Abend fertig gestellten Publikation.

Aber was soll das, ... jetzt, da wir die Zeichen nicht lesen können, ist es viel interessanter zu überlegen, warum es uns nervös macht, sie nicht lesen zu können. Warum man es vielleicht arrogant findet, dass da einer mit einer Geheimsprache operiert, aber selbstverständlich erwartet dass man sich das anschaut, obwohl man gar nicht zum Geheimbund gehört.

Mit einer solchen Fragestellung befindet man sich im Zentrum der Ausstellungspraxis. Denn die Frage: "Was soll das um Himmelswillen bedeuten?" ist der sorgfältig bis angestrengte austrainierte Reflex, den man als Betrachter stellen soll, und hier auch wirklich stellt. In fast jeder Ausstellung ist dieser Reflex angestrebt. Auch Kuratoren welche Werke der klassischen Moderne ausstellen versuchen diese Frage zu provozieren, nur haben sie es ungleich schwerer, denn bei der klassischen Moderne haben wir die Zeichensprache längst gelernt, und da man immer mal ein expressionistisches Bild sieht, weiß man genau, dass da ein Künstler besonders wild sein wollte oder besonders schockierend oder sonst was. Man weiß diese Bilder zu deuten, und zwar, und das ist wichtig, völlig unabhängig davon ob einem das Bild gefällt oder nicht.


Es gibt viele Methoden sich durch eine Ausstellung wie diese zu bewegen, also durch ein Gelände, was bekannt und wiederzuerkennen ist als Ausstellungsraum, aber eben unklar in der aktuellen Befrachtung, weil wir die Sprache nicht auf Anhieb verstehen können. Eine Methode wäre zum Beispiel, nach Analogien zu suchen.

Sind das Bausätze? Und fliegen sie gerade auseinander oder streben sie zusammen? Ist das ein Bühnenbild für einen Trickfilm in dem wir stehen? Ist es eine Art Passionsspiel, da wir immer die gleichen Protagonisten wieder an anderen Stellen sehen?

Sehen diese Linien nicht aus wie Schläuche, rote und blaue Schläuche? Denkt man an Intensivmedizin? An Naturwissenschaftliche Experimente? An Elektroleitungen? Wann haben sie eigentlich das letzte Mal Ihren PKW überbrückt? Steht man da nicht jedes Mal mit diesen Klemmen und Kabeln in der Hand da, und überlegt, wie das noch mal ging, und was wohl passiert wenn man das jetzt falsch herum zusammen zwingt, obwohl man schon weiß, dass dann irgendetwas kaputt geht, ... aber knallt es dabei? ...steigen Rauchwolken auf? ...oder wie hat man sich das eigentlich genau vorzustellen?

Was würde wohl passieren, wenn diese schlauchartigen Linien die sie hier sehen in anderer Weise zusammengeführt wären? Wenn man die Zeichnungen von Hannes Kater als Argumentationen in eigener Sache versteht, kann man annehmen, dass es ein anderes Argument würde, oder zumindest eine andere Satzkonstruktion.

Noch eine Annäherungsmöglichkeit

Woher kennt man diese farbig abgesetzten Wände? Aus Fluren, von Parkhäusern, besonders gerne allerdings aus Behördenfluren, dort sind sie meistens mit glänzender gut abwischbarer Farbe gemalt um das menschliche Geschiebe möglichst glatt und reibungsarm zu halten, immer sollen sie der Orientierung dienen, manchmal tun sie dies auch mit Erfolg, so dass man sich etwa erinnert: richtig, ich stellte mein Auto auf der blau gestrichenen Ebene ab. Hier in der Ausstellung, zieht der Deckenstreifen gemeinsam mit den farbigen Feldern die einzelnen Bestandteile zusammen. Nun, auch die Flur-Assoziation ist weiterhin richtig, denn man hat es hier mit einer Art Gedankenflucht zu tun, wie andernorts mit einer Zimmerflucht. Gedankenflucht beschreibt den Zustand, der einen ständig von Thema zu Thema springen lässt. Man kennt das wenn man betrunken unbedingt noch schnell alle möglichen Dinge zu besprechen hat, aber sofort vergisst was man eben sagte, also ständig den Faden verliert, und man schlimmstenfalls hinterher gar nichts mehr erinnert.

Das praktische bei diesen Zeichnungen ist nun aber, wie übrigens bei aller bildender Kunst, dass sie ganz geduldig sich im Raum auffaltet und kein Problem mit Zeit hat, man kann also der Gedankenflucht in jeder Richtung folgen, wieder zurück schreiten, eine andere Richtung wählen, überspringen zur gegenüberliegenden Wandseite, dabei Kaffee oder Bier oder nichts trinken oder was auch immer. Wir können uns hier auf gedanklichen Korridoren hin und her bewegen, und damit man schneller darauf kommt, dass das wirklich möglich ist, gibt’s diese Farbfelder die man sofort als Orientierungshilfe erkennt, so dass man wenigstens schon mal an Korridor denkt, auch wenn man sonst noch nicht weiß ob man eigentlich hier ist um seine Steuer abzugeben, oder weil man freiwillig zum Blutspenden geht, oder gar in einer Ausstellung gelandet ist.

Also was ist das nun mit diesen Bildzeichen?

Ein Zeichen, beispielsweise ein Pfeil, ist eine Verabredung, man muss das Zeichen nicht verstehen, man muss sich allerdings darauf verlassen können. Das gilt für Straßenschilder, also eine abknickende Vorfahrt, genauso wie für die Zeichen von Hannes Kater (in einem Fall gibt’s Tote im anderen Fall Misstrauen, was geschäftsschädigend ist).

Wichtig ist nun festzuhalten, dass bei eingehender Betrachtung auch Straßenschilder unverständlich sind, unlogisch und auch bei bestem Willen nicht zu Verstehen. Mit dem Unterschied, dass uns die Verabredung zum Straßenschild geläufig ist, das haben wir gelernt in der Fahrschule. Das ist auch der Grund weshalb man eine solche Ausstellung die offensichtlich mit Zeichen operiert, die man aber nicht kennt, arrogant finden kann, denn Hannes Kater zeigt nicht (oder nur in Ansätzen) seine Zeichenschule, sondern eine Ausstellung.

Für das System bildende Kunst hat sich zwar die Erkenntnis durchgesetzt, dass es OK ist und zum Spiel gehöre, nicht alles zu verstehen und man solche Unklarheiten nicht gleich als Arroganz abtun muss. Interessanter Weise wird Hannes Kater aber immer danach gefragt, was das in seinem Falle nun genau zu bedeuten hat. An Hannes Kater wird also seltsamerweise ein anderer Maßstab gelegt.

Das liegt daran dass sich scheinbar, aber wirklich nur scheinbar jedes Thema in der speziellen Hannes Kater Weise beforschen lässt. Das ist die spezielle Verführung dieser Piktogrammtechnik. Sie wirkt nüchtern reduziert, sauber differenziert und sortiert und erlaubt außerdem die Neuerfindung weiterer Zeichen, und sei es erstmal nur ein Zeichen, dass der Künstler selbst wieder erkennen kann.

Dieses Missverständnis beim Betrachten entsteht aufgrund unserer Konditionierung auf den Bereich der Zeichensysteme. Also Beispielsweise Piktogramme an Internationalen Flughäfen, Behörden, die Straßenverkehrsordnung etc. Dieser Bereich steht genauso wie wir, die diese Systeme verwenden müssen unter dem steten Druck bitte recht sehr logisch und verständlich zu sein. Was auch an den Zwängen einer wissenschaftsgläubigen Gesellschaft liegt, die Irrationalität als Vorwurf empfindet. Und solches nur in den „Luxus“-Gefilden der Kunst gelten lässt, sozusagen als Entspannung, dort ist es dann nämlich erlaubt.

Aber alle Zeichen sind lediglich Abmachungen. Es sind Absprachen dessen was man niemals für falsch halten darf.

Und dass auch 5+12=17 vor allem eine Verabredung ist, die man niemals für falsch halten darf, wird stets unterschlagen.


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