Texte zu: Was ist ein Bild?
Was ist ein Bild?

Was ist ein Bild?
Die Bezeichnung "Bild" ist zu einer Art interdisziplinären Begriff geworden. Und darüber droht fast in Vergessenheit zu geraten, dass es einst ja ausschließlich, wenn man mal von den Schamanen absieht, die Künstler waren, die den Menschen Bilder von Dauer – Skulpturen, Altäre, Totems – lieferten.
Ein
Gespräch mit Thomas Huber von Rainer B. Schossig, gesendet vom Deutschlandradio am 18.8.2002

Frage: Herr Huber, Sie sind Bildender Künstler... Sie sind in Zürich geboren, haben in Basel, London und Düsseldorf studiert. Sie waren bis vor einiger Zeit Professor in Braunschweig an der Hochschule für Bildende Künste und Sie leben heute wieder als, wie man so schön sagt, freier Künstler in Mettmann, bei Düsseldorf. Sie haben viele Bilder gemalt, produziert. Sie haben ebenso viel vor Bildern vielleicht auch gesprochen und über Bilder nachgedacht. Zunächst daher mal ganz schlicht die Frage, aber natürlich nicht nur so handwerklich gemeint, was ist beim Malen, oder beim Machen, eines Bildes, eigentlich überhaupt zu beachten?

Huber: Vielleicht haben Sie selber auch schon mal versucht ein Bild zu machen... jeder denk ich, hat dass schon mal in Angriff genommen. Und hat sich zum Beispiel vorgestellt, er male jetzt seine Schwester oder seine Oma oder einen Blumenstrauß. Er nimmt sich dafür eine geeignete Unterlage, ein Papier – vielleicht ist er ambitionierter und nimmt sogar eine Leinwand – und setzt sich vor das Motiv und fängt nun an, dieses Ding zu malen.

Sagen wir mal den Blumenstrauß. Und er hat dann den Blumenstraß nach etlichen Mühen zustande gebracht, der steht also auf dem Bild – und dann stellt er plötzlich fest, dass rund um den Blumenstrauß rum, jedenfalls auf seinem Blatt Papier oder seiner Leinwand, ja auch noch was ist... da ist ja auch noch Leinwand.

Was macht er jetzt damit? Er hat es ganz vergessen, dass es nicht nur das Ding da gibt, was er zur Darstellung bringen wollte. Sondern dass das Bild fordert plötzlich etwas von ihm ab, woran er gar nicht gedacht hat. Man könnte von der klassischen Figur-Grund-Problematik sprechen. Das ein Bild zwar immer etwas fokussiert, aber genauso dieses Fokussierte in eine Umgebung einbettet.

Ich glaube das ist eines der wesentlichen Dinge, wenn man, wie ich jetzt hier – und ich möchte mich auch in diesem Gespräch auf das gemalte Bild konzentrieren – wenn man also von einem Bild, einem gemalten Bild, ausgeht, hat man immer zu beachten, dass das Bild eine Totale ist. Das es nicht nur im Mittelpunkt wichtig ist, sondern bis zu seinen Rändern hinaus.

Frage: Das klingt jetzt so ein wenig, als ob ein Bild auch eine Geschichte erzählen müsse, als dieses Figur-Grund-Problem, also ein literarisches, ein romanhaftes oder vielleicht novellenhaftes Problem wäre... oder gibt es da ganz andere Regeln, denen die Spannung eines Bildes gehorcht.

Huber: Zum einen – sie sprechen etwas an, was ich als Werk selber realisiert habe. Es gibt einen Werkkomplex, der heißt "Jacobs Traum". In einem imaginären Bildraum treten zwei Personen auf, Figur und Grund... Dieses Figur-Grund-Problem, was zuerst einmal ein formales Problem ist, ist von mir zu einem Eheproblem gemacht worden...

Man kann sagen, die Figur-Grund-Problematik ist ein, jedenfalls in der klassischen Moderne, virulent gewordenes Problem - man denke an den Kubismus, der versucht hat, gerade das Motiv oder die Figur zu zersplittern, aufzulösen; man denke dann auch an die Rückwendung auf dekorative Kunst wie bei Matisse, der versucht hat, die Figur oder das zentrale Motiv in ein Pattern, in ein Muster, einzubinden. Diese Sache ist sicher gelöst und von der Kunstgeschichte abgelegt...

Trotzdem besteht in gewisser Weise dieses Figur-Grund-Problem weiter, aber ich habe es jetzt auf eine ironische getan: "Figur" in diesem Bild beklagt sich also bei "Grund", dass ihr Verhältnis ein Problem geworden wäre und das sie sich nicht mehr verstehen würden; das sie sich nicht mehr lieben würden und das sie in die Jahre gekommen seien.

Frage: Da steckt eine Ironie drin, die sich natürlich darauf bezieht, das wir es heute oft mit Bildern zu tun haben, die nicht mehr so deutlich Gestalten erkennen lassen. Dieses "dekernere", dieses Entscheiden, was ist vorn, was ist hinten... das ist ja immer eine Frage von Erkenntnis gewesen. Und das Bild hat ja sehr lange, vielleicht bis zum Beginn der Abstraktion, dazu gedient, Entscheidungen über Gestalten, sozusagen zu suggerieren... dem Betrachter zu erklären, wie eine Gestalt vor dem Grund zu stehen habe.

Huber: Ich glaube, dass diese Form der Lebenshilfe, die Sie hier ansprechen, nicht mehr die Aufgabe des Bildes ist. Vielleicht müssen wir das hier auch mal erwähnen, die Bilder werden ja heute, solange es sich um gemalte Bilder handelt, unter dem Begriff der "Kunst" verhandelt. Und Bilder werden in diesem Zusammenhang eben auch von dieser "Nützlichkeitsanforderung" befreit. Sie sind, in gewisser Weise, ein Spiel mit sich Selbst.

Frage: Sie haben einmal geschrieben oder gesagt, dass Reden über seine Bilder soll der Maler Berufeneren überlassen; jetzt reden wir schon eine ganze Weile, Sie reden schon eine ganze Weile über Bilder, Herr Huber; daher noch mal die Frage an Sie ganz konkret als Künstler: welche künstlerische Definition für das Phänomen "Bild" schlagen Sie heute vor?

Huber: Ich muß aufpassen, dass ich Ihnen hier nicht in eine Falle gehe – nämlich die, die hier aufgemacht worden ist durch die Sprache. Wir sprechen ja hier nur über Bilder – und ich muß darauf bestehen... als Bildender Künstler brauche ich nicht zu sagen... in Begriffen darzustellen, was ein Bild ist, sondern ich muß es als Bild herstellen. Ich muß eben sagen: das hier ist ein Bild, schauen Sie her! Das ist jetzt ein Bild. Das ist mein Ziel und meine Aufgabe als derjenige, der Bilder macht und nicht über Bilder spricht. Der nicht einen Bildbegriff definieren will, sondern – sagen wir mal – vorbegrifflich arbeitet.

Trotzdem gibt es Möglichkeiten über Bilder zu sprechen, ich habe sie mehrfach erprobt. Ich habe mich gefragt, ob ich vor Bildern spreche oder über Bilder spreche oder neben Bildern spreche oder hinter Bildern spreche... jedenfalls: ich habe mich entschieden, auch die Sprache im Zusammenhang mit dem Bild zu probieren.

Und ich habe versucht nicht so sehr Definitionen zu finden, als vielmehr Metaphern. Weil die – wiederum auch sprachlich gesehen – eben bildhafter sind. Und eine Metapher für ein Bild – habe ich mir vorgestellt – ist ein für mich sehr zentrales Anliegen. Und das ist der Ort. Ich sage, das Bild ist ein Ort. Und zwar ein ausgezeichneter Ort.

Um schon hier wieder auf das Metier zu verweisen... das er eben gezeichnet sein kann, das er entworfen sein kann. Es gibt zum Beispiel bei Dürer die Bezeichnung für einen Stahlstich, wie wir es heute nennen, da redet er vom Riß... er redet auch von der Zeichnung vom Riß. Es ist interessant, dass auch bei uns in der Umgangssprache noch bei den Architekten dieses Wort überlebt hat in den Begriffen wie Grundriß oder Aufriß. Das ist nichts anderes als eben eine Zeichnung.

Frage: Die Projektion eines räumlichen Gebildes in eine Fläche.

Huber: Jawohl. Oder umgekehrt: die Eröffnung einer Fläche hin zum Raum. So hat es nämlich Dürer verstanden. Das also die geschlossene Oberfläche eines Untergrundes, sei es ein Blatt Papier oder eine Leinwand – wird eben durch einen Stift hin zum Imaginären aufgerissen. In diesem Sinne lassen Sie mich jetzt noch mal auf den Ort zurückkommen: in unserer Euklidischen Geometrie gehen wir davon aus, dass der Ort ein Punkt im Raum ist. Es gibt das All-überall des Raumes und darin gibt es festgelegte Punkte und das nennen wir einen Ort.

Ich habe eine etwas andere Herangehensweise. Ich kann mir vorstellen, das es zuerst einen Ort gibt; den muß man finden und daraus heraus eröffnet sich Raum. Das also der Ort zuerst ist. Fast in der Weise, wie früher zum Beispiel die Räume für die Sakralräume gefunden worden sind. Man hat nämlich auf Zeichen geschaut, man hat einen Ort gesucht, man hat ihn sich zeigen lassen durch Offenbarungen: sei es durch Hirsche, die plötzlich im Wald auftauchten. Oder durch Erscheinungen. Dort hat man dann das als Offenbarung verstanden und den Kirchenraum, also den wirklich sakralen, den Inbegriff des Raumes, dann erbaut.

Frage: Es wird ja heute, kulturpessimistisch oft, beklagt, dass die Bilder so oberflächlich seien. Wenn ich Sie richtig verstehe, ist das aber gerade eine Chance. Das ist der spezifische Charakter von Bild, das er nämlich zweidimensional ist und das was räumlich ist, in die Fläche hineinholt und aus Fläche den Raum das Auge sehen macht.

Huber: Es ist zweischneidig diese Oberflächlichkeit. Zum einen kann man von der Oberflächlichkeit der Bilder mit gutem Recht folgende Aussagen machen: nämlich wie hoch ein Bild ist und wie breit ein Bild ist. Dieses läßt sich über eine Fläche präzise sagen. Es wird dann sehr schwierig, wenn man von der Tiefendimension, die eben eine imaginäre ist, versucht zu sprechen, respektive sie festzulegen. Diese aufklärerische Zeit, die wir auch hinter uns haben, die in die Moderne gemündet ist, hat ja versucht, die Flächigkeit eines Bildes herauszustellen, zu Gunsten einer falschen – wie sie fand – imaginären und täuschenden Tiefe.

In dem Sinne haben wir ein Jahrhundert hinter uns, dass sich vor allem auf die Flächigkeit des Bildes konzentriert hat, obwohl sie die Tiefendimension des Bildes nie hat ausmerzen können. Es ist einfach ein Problem: wenn man einen einzigen Strich auf eine Fläche setzt, entsteht sofort Räumlichkeit – da läßt sich eigentlich nichts gegen machen. Ich meinerseits habe, meine ich, diese Tiefendimension des Bildes akzeptiert. Ich finde sie – im Gegenteil – sogar sehr spannend. Ich finde sie – umgekehrt – natürlich auch sehr gefährlich, weil man diese Tiefe auch als Abgrund verstehen kann, in den man hineinstürzen könnte.

Die Frage ist nun: wo wir zwar Maße angeben können – für die Höhe und Breite eines Bildes – wie können wir uns maßvoll und auch sicher im imaginären Bildraum bewegen? Dafür gibt es ein altes Mittel und das ist die Perspektive. Die Perspektive erlaubt uns, in die Tiefen des Bildes hinein zu gehen und diese Tiefen auch maßhaltig zu durchschreiten und zu markieren. Das ist eine Methode, die es ermöglicht, von der Bildfläche aus, jeden Punkt maßhaltig und mit Genauigkeit festzulegen. Das ist eine sehr schöne Methode, die ich gerne anwende, womit ich in der Lage bin, mich auf jeden Punkt in diesem imaginären Raum zu beziehen und sagen kann, wo er sich genau befindet.

Ich habe versucht ein Maßsystem für die Bildtiefe zu finden und habe mir dafür 8 Gläser ausgesucht – die habe ich selber blasen lassen – und habe sie mit Wasser gefüllt. Und diese acht Gläser habe ich sozusagen in einer Oktave gestimmt; denn beim Füllen des Glases mit Wasser kann man beim Ansteigen des Wasserspiegels den Klang des Glases hören... ich habe also diese acht Gläser in einer Oktave gestimmt und jeweils dann einen Markierungsstrich auf diese Gläser aufgebracht und markiert mit dem Hinweis, dass das die geeichte Bildtiefe wäre.

Vielleicht muß ich, um das genauer zu erläutern, auf eine andere Metapher hinweisen – weil wir sind ja noch immer bei dieser Frage, was ein Bild sein könnte... Ich habe mal gesagt: das Bild ist wie das Wasser. Stellen Sie sich vor, Sie stehen an einem See und gucken auf die Oberfläche des Wassers... es ist ein schöner Tag und es spiegelt sich die umgebende Stadtlandschaft in diesem See... oder die Berge – auf jeden Fall ist es eine immense große Fläche, hinter der sich eine ganz andere Welt, als die, von der aus ich diese Wasserfläche betrachte, erschließen kann.

Es ist die Welt unter Wasser; es ist die Welt der Fische oder der Seepflanzen... oder auch der Taucher, der Schwimmer die unter Wasser sind. Und so wie ich von meiner Seite sagen kann, was ich als Betrachter am Ufer des Sees sehe – das ist die Wasseroberfläche, könnte der Fisch von sich behaupten: ja das ist doch die Luftunterfläche. Und wenn wir uns das jetzt auf das Bild übertragen, sage ich zwar, wenn ich ein Bild betrachte, ich betrachte die Bildoberfläche. Wenn ich mir aber vorstelle, ich wäre im Bild drin und würde mich sozusagen umdrehen und würde aus dem Bild heraus schauen, dann würde ich ja die Wirklichkeitshinterfläche sehen.

Frage: Dann müßten Sie aber erst wie Alice sozusagen hinter die Spiegel gehen – und das heißt in's Bild oder unter die Bildfläche untertauchen, eintauchen.

Huber: Ja. Ich muß mich in's Bild setzen. Ich muß im Bilde sein – um einen Spruch der deutschen Sprache hier zu verwenden.
Wenn ich es nun geschafft habe, wie Alice im Wunderland sozusagen hinter die Spiegel zu gehen, oder hinter diese Bildfläche, diese Bildoberfläche zu gelangen, wird mir plötzlich deutlich, das es diese sogenannte Oberfläche, wie wir sie vorschnell bezeichnen, eigentlich gar nicht gibt, weil für den anderen ist es ja eine Hinterfläche. Und zwischen beiden ist eigentlich gar nichts. Es ist nur eine Grenze, diese Bildfläche. Und ist eigentlich völlig immateriell... das Materielle, das was auf die Bildfläche aufgetragen wird, die Farbe, ist ja so sehr von dieser Welt... es ist Materie; und gar nicht von der imaginären Welt... Die imaginäre Welt entwickelt sich eigentlich erst hinter dem Material.

Frage: Die Bilder entwickeln sich ja auch - paradoxer Weise – erst, wenn sie angesehen werden. Das haben Sie jetzt eigentlich die ganze Zeit beschrieben. Das materielle Bild hat eine sehr stark metaphorische Seite, die eigentlich erst in uns anklingt, wenn wir das, was der Maler uns zur Verfügung stellt, betrachten.

Das führt ja von der Frage Was ist ein Bild unmittelbar zu der Frage Was ist Sehen. Als aktiver Vorgang eines Menschen, der mit den Augen etwas wahrnimmt. Was ist das für Sie, dieses Sehen? Das schöne am Radio ist ja übrigens, dass man jetzt nicht sieht, worüber wir sprechen. Im Gegensatz zum Fernsehen, wo der Fernseh-Betrachter ja leicht dem Irrtum unterliegen kann, wenn er ein Bild im Fernsehen gezeigt bekommt, jetzt sähe er das Bild – er sieht aber nur das Abbild des Bildes auf seiner Mattscheibe. Also: was ist eigentlich Sehen für Sie, Herr Huber?

Huber: Es gibt einmal diesen Begriff des Ereignisses. Was sich etymologisch auf den Begriff "Er-äug-nis" beziehen kann... es hat also mit dem Auge zu tun. Und damit spricht es das an, wovon Sie eben auch gesprochen haben. Das es eben ein Moment ist, wenn ein Bild sich zeigt – oder wenn man ein Bild sieht, dass das das Entscheidende des Bildes ist, dass es gesehen werden will. Oder das es dafür gemacht worden ist, gesehen zu werden. In dem Sinne ist sowohl das Sehen eines Bildes, als auch das machen eines Bildes, ein sozialer Akt. Weil es hier um eine Form des Austausches geht. Um eine Kommunikation.

Frage: Was passiert eigentlich, wenn man mal absieht von davon, dass auf der Netzhaut des Betrachters ein Reiz entsteht, der weitergeleitet wird... was passiert beim Sehen eines Bildes Ihrer Ansicht nach – oder Ihrer Erfahrung nach als Künstler? Oder wenn Sie selbst ihr Bild sehen?

Huber: Ich glaub' wir dürfen da dann natürlich nicht vergessen, dass jeder Betrachter eine bestimmte Voraussetzung mit sich bringt, wenn er ein Bild anschaut. Und es ist doch sehr, sehr, viel abhängig von dieser Voraussetzung, die er an das Bild heranträgt – mit seinem eigenen Wissen, mit seiner kulturellen Prägung. Es geht ja so weit, dass man sich erzählt, dass Menschen früher, die noch nie eine Fotografie gesehen hatten, die Verwandten, die man ihnen per Foto zeigte, nicht darauf erkennen konnten.

In dem Sinne sehen Sie, wie stark wir kulturell geprägt sind, viel stärker eben durch die mittlerweile immer mehr überhand nehmende Bilderflut und natürlich auch durch, mehr oder weniger, kunstgeschichtliches Wissen. Und da will ich ganz freimütig bekennen: meine Bilder wenden sich an jemandem mit einem hohen kunsthistorischen Wissen.

Ich gehe sozusagen von einem gleichwertigen Betrachter aus, der eben soviel weiß wie ich und bin immer etwas irritiert, wenn Menschen meine Bilder sehen und daran gefallen finden, und ich merke dass sie an etwas Gefallen finden – was ich dann schnell als Mißverständnis empfinde, weil die Anspielungen, die ich mit dem Bild auch verbinde, überhaupt nicht bei denen ankommt.

Frage: Aber ist es nicht auch eine Chance des Bildes, dass es zu Mißverständnissen, zu enigmatischen Aufladungen kommen kann, eben immer Abhängig davon, was der Betrachter weiß? Es gibt ja auch das Wort: man sieht eigentlich nur das, was man weiß. Oder vielleicht ein ganz kleines bißchen mehr als das...

Huber: ich habe mal eine Bildvorstellung vor Publikum ausgebreitet: man sieht einen Raum. Und man sieht auf der linken Seite eine sehr große Öffnung, die irgendwie in's Helle führt. Und innerhalb dieser Gesamtrepräsentation merkt der Betrachter, so denke ich, schon sehr bald, dass es sich bei dieser Öffnung um eine Art Bühne handeln muß. Also: würde man durch diese Bühnenöffnung hinausblicken, man in den Zuschauersaal sehen könnte. Mit anderen Worten: was das Bild zeigt, ist eine Seiteneinsicht in einen Bühnenraum. Oder wie man heute so schön sagt: eine backstage Situation.

Und in diesen Raum nun rennen mehrere Männchen herum. Und alle sind am jammern, weil sie sich erstens darüber beklagen, dass sie ständig angeguckt werden können durch diese Öffnung, durch diese Bühnenöffnung; dass sie keine Intimsphäre hätten... Aber vor allem beklagen sie sich darüber, dass ständig durch diese Öffnung hindurch – man kann sie in diesem Zusammenhang auch als Bildöffnung, oder als Bildfenster, betrachten... diese Männchen sind also die Bildbewohner – die beklagen sich, dass die Betrachter ständig ihre Gefühle da durch diese Öffnung ins Bild hineinstellen würden. Oder ihre Interpretationen.

Und diese Männchen sind alle mit großen Säcken und Besen bewehrt und machen den ganzen Tag nichts anderes, als diese in's Bild hinein gestellten Bedeutungen und diese ins Bild hinein projizierten Gefühle mit Säcken wieder aus dem Bild heraus zu tragen.

Frage: Das ist eine ironische Anspielung darauf, dass Sie eigentlich der Meinung sind, dass ein Bild nicht unbedingt einen Illusionsraum repräsentieren muß. Sondern Sie gehen sozusagen bewußt um 90 Grad aus dem Illusionsblickwinkel heraus und dadurch ergibt sich ein vollständig anderes Bild. Jetzt frage ich mich: wollen Sie als Maler überhaupt noch, dass man Ihre Bilder versteht? Das sozusagen durch Ihr Bild die Welt verständlich wird? Durchdringbarer... ja, man könnte sogar sagen: begehbarer.

Oder bedeuten diese Männchen, die da diese hinein projizierten Bedeutungen wieder hinaus zu werfen bemüht sind, dass Sie das als Künstler gar nicht wollen?

Huber: Sagen wir so: diese Seiteneinsicht – oder diese ungewöhnliche Einsicht in das Bildganze, oder in das Bildphänomen – wie ich sie eben geschildert habe, dient dazu, die Bedingungen des Bildes und letztlich auch die Bedingungen des Bildermachens, im Bild selber darzulegen. Ich glaube ein wesentlicher Impetus der Kunst des 20. Jahrhunderts – und ich fühle mich dem auch im neuen Jahrhundert verpflichtet – ist es, offen zu legen, wie diese Illusion zustande gekommen ist. Sozusagen die Produktionsbedingungen darzulegen.

Es hat natürlich auch – das gebe ich zu – etwas sehr selbstreflexives, etwas in sich kreisendes. Aber davon kommt, denke ich, das Bildermachen nicht los... also dieses Bildes im Bild im Bild im Bild... immer wieder noch'n Bild. das Bild kreist doch sehr stark um sich selbst, ist sich auch selbst genug. Nur, womit es auch immer wieder hadert, ist, dass es abfallen kann von den konkreten und überprüfbaren Bedingungen, in denen wir leben – und um das kämpft das Bild, denke ich. Es will vielleicht nicht so sehr verstanden werden, aber als eine mögliche Weise akzeptiert werden, die Welt zu sehen.

Frage: Hängt damit auch zusammen, dass Sie kürzlich ein Buch geschrieben haben, das den Titel trägt: Bilder schlafen. Das wäre ja eine Art Personalisierung von Bild. Sie sprechen da auch von der Müdigkeit der Bilder – das klingt, als hätten Bilder ihr eigenes Leben, was wir auch akzeptieren sollten. Wir sollten also nicht die Bilder funktionalisieren als reine Bedeutungs- und Welterklärungsträger.

Huber: Sie haben Recht. Die Bilder sind – in gewisser Weise – autonom. damit sprechen Sie ja auch ein wesentliches Selbstverständnis der Moderne an. Und ich meine, dass das auch weiterhin zu verteidigen ist: dieses Autonomie der Bilder. Das man sie also nicht, wie das eben heute sehr häufig und fast absolut geschieht, zu irgendwelchen Zwecken mißbraucht, dass man sie einsetzt für den Verkauf eines Produkts, für die Werbung einer bestimmten Ideologie, sondern dass es ein Vergnügen sein kann, Bilder anzuschauen, ohne dass man das Gefühl hat, einem wird hier irgendwas verkauft.

Frage: Ein Bild als etwas, was nicht verfügbar ist. Was nicht Dokument ist. Was nicht reine Information ist. Wie wäre denn Ihr Fazit jetzt, noch mal zusammenfassend am Ende dieses Gesprächs, was ist eigentlich ein Bild?

Huber: Ein Bild ist – das möchte ich ganz nüchtern feststellen – eine Sache. Es ist natürlich auch ein Begriff. Dann ist es eine Frage der Philosophen, und wahrscheinlich dort noch speziell der Ästheten... oder Ästhetiker. Ein Bild ist auch zum Beispiel – wenn wir jetzt wieder vom Begriff weggehen und die Sache betonen – ein Bild ist auch eine Wahre, man kann ein Bild verkaufen, man kann es sehr teuer verkaufen.

Mir persönlich ist das Bild – wie ich es auch schon einmal sagte – ein Ort. Und ganz speziell ein Aufenthaltsort. Ich befinde mich pro Tag fast 8 bis 10 Stunden... sitze ich vor einem Bild, also ich male und ich weiß manchmal wirklich nicht mehr, ob ich im Bild bin oder noch vor dem Bild bin. In gewisser Weise ist der Bildraum zu meinem Lebensraum geworden.

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