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* Eine Rede über Hölderlin, Kierkegaard und DIE ZEIT, über Wörter der Macht und solche, die eine Begegnung mit dem Religiösen ermöglichen

Lieber schön als wahr*  von Martin Walser

In allem Sprachlichen, [...], sieht man Vokabular und Sprache im unstillbaren Streit. [...]
Karl Barth [ein Theologe] hat an beidem teil, am Vokabular und an der Sprache. Jetzt das Geständnis: Je negativer er zu bleiben vermag, desto mehr hat er Sprache; je positiver er wird, desto deutlicher lebt er vom Vokabular. Solange er
in der Bewegung bleibt, die keinen Stillstandsmoment erlaubt, solange er die „direkte Mitteilung“ meidet, so lange hat er Sprache. 1922 fängt er an: „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden.“ 1956 redet er mehr von Jesus Christus als von Gott. 1922 kommt Jesus Christus so gut wie nicht vor. 1956 beherrscht sein Name die Rede. 1922 war die Unfassbarkeit der Göttlichkeit Gottes die Erfahrung dieses Theologen Karl Barth. 1956 strömen die Sätze über vom Namen Jesus Christus. Der vermittelt jetzt alle damals erlebte, unvermittelbare Absurdität und Paradoxie.

Sein von ihm hier nicht zitiertes Vorbild, Kierkegaard, hat sich, soweit ich weiß, nie zu einer solchen Landung im Positiven verstanden. Kierkegaard hat das Theologische dann lieber ganz zum Sprachlichen werden lassen. Mein diesbezügliches Kierkegaard-Lieblingszitat: "
…durch direkte Mitteilung ließ es sich nicht machen, da sich diese immer nur zu einem Empfänger in Richtung auf sein Wissen, nicht wesentlich zu einem Existierenden verhält." Sein "eigentümliches Verfahren" liege "eben in der Gegensätzlichkeitsform der Mitteilung". Das führt dann zwar auch zu Ergebnissen, aber zu solchen: …die Gewißheit des Glaubens ist ja kenntlich an der Ungewißheit.“
[...]

[Dann geht es in Walsers Text viel um Hölderlin, der] einerseits offenbar imstande war, die Welt zu erleben, zu erfahren, als sei sie
noch nicht beschrieben. So unmittelbar im Natürlichen kann er die Physiognomie eines Gottes erfahren. Eines Gottes, bitte, nicht des Gottes. Andererseits hat Hölderlin Theologie studiert. Und hat sicher erfahren, dass jedes Vokabular Religion zur Theologie werden lässt. Darauf reagiert er in seinem Was-ist-Gott-Gedicht auch. Einmal das ursprüngliche Erfahren der Welt auf eine Art, die wir religiös nennen, dann aber auch: „Je mehr ist eins / Unsichtbar, schicket es sich in Fremdes“.

Das ist die
indirekte Mitteilung, das ist Kierkegaards Gegensätzlichkeitsform, das ist die Scheu vor dem Vokabular, vor den gestanzten Wörtern, den adressierten Wörtern. [...]

Inzwischen ist uns diese ursprüngliche Fähigkeit, Begegnendes religiös zu erfahren, ich möchte fast sagen, irgendwie abhanden gekommen. Durch Hölderlins Sprache kann sich in uns eine Ahnung bilden davon, was religiöse Erfahrung war oder ist. [...]
Er [nicht Hölderlin sondern irgendwer anderes] wirft der „gegenwärtigen Theologie“ vor, „
daß sie, statt Erfahrung zu vermitteln, Begriffe zur Deutung fremder Erfahrungen lehrt, und daß sie insgesamt in ihrer Reduktion auf verstandesmäßige Argumentationsmuster den Ursprung religiöser Erfahrung mehr verschüttet als eröffnet…“

Erfahrung ist immer die eigene Erfahrung. Erfahrung ist immer meine Erfahrung. Ich habe einmal sehr leichtfertig gesagt: Soziologie wurde erfunden, dass man ohne Erfahrung schreiben kann. Ich muss das zurücknehmen und sagen: Vokabulare sind dazu da, dass man am Diskurs auch mit wenig Erfahrung teilnehmen kann.

Auch ohne definitorische Anstrengung darf ich sagen: Vokabulare sind adressierte Sprachen. Und wo sie nichts als dienend sind, sind sie schönstens, bestens und nichts als willkommen. In der Medizin, in der Pädagogik. Man ist der dankbare Konsument dieser Vokabulare. Und im Politischen? Und im Moralischen? Und im Philosophischen? Bleiben wir beim Religiösen. [...]

Das [für Rationalität und Professionalität bürgen] ist auch eine Funktion des Vokabulars. Die Sache wird durch Wertung ersetzt. [...Um etwas]
zu rechtfertigen, lässt der Historiker ein Vokabular funktionieren, in dem von der Realität, die da beschrieben und beurteilt, nämlich gerechtfertigt wird, nicht mehr geredet wird.
[...]

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich mich immer dann von mir wegbewegt habe, wenn ich – zum Beispiel aus Mangel an eigener Erfahrung – Anleihen bei Vokabularen gemacht habe. Am peinlichsten sind mir immer noch die Anleihen beim marxistischen Vokabular. [...]

Diese Sprache [von Karl Marx] drängte auf Praxis. Und das, was zur Praxis drängte, wurde dann Vokabular. Welthistorisch wirksam. Man darf sagen, Marx habe zwar jede Menge Vokabular gestiftet, er selber ist aber kein Vokabularist gewesen. Dass er zur monotheistischen Religion wurde, liegt schon an ihm. Er hat das verlangt: kein Gott neben ihm. Aber seine Sprache ist vehement durch Erfahrung und durch das durchaus religiöse Bedürfnis, dass diese Sprache Praxis verlange:
Nachfolge. Wie in der Nachfolge Christi setzte sich auch in der Marx-Nachfolge das Vokabular durch, das Kirchentaugliche beziehungsweise Orthodoxietaugliche, das Zentralkomiteehafte. Das Monotheistische eben.

Die Sprache hat keinen solchen Anspruch,
sie tendiert nicht universalistisch, sie ist immer persönliche Sprache. Sie drückt nur aus oder verrät zumindest, wie der, der sich da ausdrückt, gerade fühlt, denkt, meint, irrt, also ist. Jedes Vokabular ist darauf angewiesen, Recht zu haben. Keine Sprache erhebt diesen Anspruch. Erhöbe sie ihn, wird sie zum Vokabular. Vokabulare wollen es, müssen es vermeiden, missverstanden zu werden.

Es ist nicht leicht, den Verführungspotenzen der jeweils herrschenden Vokabulare zu widerstehen oder ihnen, wenn man schon von ihnen besetzt ist, wieder zu entkommen. Jedes Vokabular enthält die Einladung, an der Weltherrschaft teilzunehmen. Und wer möchte das nicht? Nachträglich kann ich, will ich sagen: Ich nicht.

Ich glaube nicht, dass man mit dem,
was das Vokabular mitteilt, leben kann. Aber mitreden kann man dann. Und wie.

Die Erfahrungen, die ich mit mir als Vokabularist gemacht habe, fühlen sich wie Narben an. Und man ist den Vokabularen nie ein für alle Male entkommen. Täglich tauchen die
Diskursfürsten mit neuem Kopfschmuck auf. [...]

Und dann kommt es natürlich heraus, dass ich eher regressiv, autistisch tendiere als zivilreligiös. Ich tendiere, wenn ich das selber ausdrücken dürfte, so: Je näher ich bei mir bleibe, desto eher bin ich bei allen anderen. Das ist eine Erfahrung mit dem Echo, das man, sich ausdrückend, erfährt.
Sprache ist erfahrbar. Vokabular verstehbar. Sprache spricht Existierende an. Vokabular ist adressiert an Wissende. Sprache muss nicht Recht haben, Vokabular hat Recht. Kollisionen zwischen Vokabular und Sprache dienen der verletzungsreichen Unterhaltung aller an diesen Kollisionen Beteiligten und darüber hinaus auch noch derer, die für solche Kollisionen als Publikum infrage kommen. Hoffen wir.

Die Vokabulare sind beschäftigt mit Weltverbesserung. Die mit Sprache zu tun haben – und jetzt kann ich nur noch in der Einzahl sprechen –, wenn ich mit Sprache zu tun habe, bin ich beschäftigt mit der Verwaltung des Nichts. Meine Arbeit: etwas so schön sagen, wie es nicht ist.

Auszüge aus der gekürzten Fassung eines Vortrages, gehalten am 13. Januar im Rahmen des Studium Generale an der Universität Heidelberg. In: DIE ZEIT 04/2003

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