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Über “On Sculpture” und Installationen im allgemeinen – ein
Interviewfragment  
–   Gespräch: Raimund Kummer / Hannes Kater
Gespräch irgendwann 2004, Berlin
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Unsichtbar
aber ...?
Kater: Zu der Arbeit "On Sculpture" gab es die Frage, wieso die geschlossenen Papp-Kästen, die die Sockel bilden, auf denen zum Schluss jeweils die offenen Kästen mit Foto stehen, wieso also sind diese Kästen nicht auch mit Fotos bestückt?

Kummer: Über die Möglichkeit, diese Sockel zu bestücken, habe ich überhaupt nicht nachgedacht, weil für mich die Präsenz der Kästen schon allein die Metapher der Präsenz des Archives bedeutete.

Kater: Wenn man eine Arbeit realisiert, gibt es ja unterschiedliche Möglichkeiten, womit man als Künstler rechnet und auf welchen Ebenen man kommunizieren will. Ich nehme diese Arbeit so wahr, dass es in erster Linie um eine Erfahrbarkeit geht, um eine Ablesbarkeit, und ob die Kästen nun bestückt sind oder nicht, ist für den Betrachter nicht zu klären, nicht erfahrbar.

Kummer: Richtig.

Kater: Das heißt, man muss die Kästen eigentlich nicht bestücken.

Kummer: Genau.

Kater: Es sei denn, man legt eine andere Form, ein anderes Verständnis, von authentischem Handeln zugrunde.

Kummer: Die Kästen sind bestückt…

Kater: Die geschlossenen Kästen?

Kummer: Nun, sie sind bestückt als Möglichkeitsform,… sie sind Platzhalter für Fotos, die von oben nach unten wandern könnten, und von Fotos, die von unten nach oben wandern könnten, denn die Auswahl und Anzahl der gezeigten Fotos wechselt. In der 1. Phase, ich habe die Arbeit ja schon mal in München gezeigt, waren es 100 Fotos. Jetzt in Berlin habe ich 180 gezeigt. Dass das Ganze nicht eine abgeschlossene Sache ist, kann man, glaube ich, den Arbeiten anmerken, weil es um Fotos von 1980 von bis heute geht.
   Es ist eine Form von Biografieschreibung, mit der Möglichkeit, alles immer wieder neu und umzubewerten. Das heißt, ein Foto, was im Jahre 2004 gezeigt wird, wegen mir aus dem Jahr 1985, kann theoretisch in 2007 oder 2010 nicht mehr gezeigt werden, weil ein anderes Erkenntnisinteresse vorhanden ist und so ein anderer Blick auf die ganze Geschichte. Deshalb wandert das theoretisch wieder zurück in das Archiv.

Kater: Aber die Fotos wandern theoretisch… Ob die Kisten nun bestückt sind oder nicht, verändert in Ihren Augen nicht die Arbeit.

Kummer: Ja, das ist akademisches Gerede… Es würde anders sein, wenn man die Kisten öffnen könnte. Dann müsste ja was drin sein oder wenn dann nichts drin ist, wäre es sozusagen eine Arbeit mit einer Enttäuschung einer Erwartungshaltung.

Kater: Die Arbeit funktioniert über ihre skulpturale Präsenz, sie ist gesetzt, sie wird nicht für eine Performance genutzt, bei der Sie, zum Beispiel, die Kisten aufmachen.

Kummer: Das würde ich so gar nicht sagen wollen... eine Performance findet schon statt, aber nicht mit mir, sondern von den Betrachtern. Es wird das Abschreiten von etwas produktiv genutzt. Normalerweise guckt man sich Bilder an der Wand an, gerahmt, nicht gerahmt, was auch immer, in der Horizontale ist man selten... das Abschreiten und das Anschauen sind ein Teil dessen, was man den Erkenntnisprozess oder Wahrnehmungsprozess des Kunstwerkes nennen könnte. Damit dieses Abschreiten funktioniert, müssen die Bilder in eine bestimmte Höhe gebracht werden. Es muss ein Verhältnis zwischen Bildgröße und Bildbetrachter hergestellt werden, da bin ich auf circa dem Tischniveau gelandet. Damit aber die Höhe nicht einfach nur Höhe ist, sondern auch das Herstellen der Höhe wiederum ein Bild ergibt, habe ich eine Lösung gesucht und bin auf diese Kisten gekommen, weil diese Kisten für mich auch reales Material waren während der Recherche des Durchkämmens meines Archives.

Kater: In diesen Kisten sind die Bilder aufbewahrt worden?

Kummer: Nein, aber die Dias sind damit sortiert worden. Ich zeige Ihnen ein Foto, Moment…

Kater: Da sind die Dias reinsortiert worden?

Kummer: Das war das Archiv, von 1978 bis heute… Das Ganze ist nicht ausgedacht Es gibt die neunmalklugen Leute, die denken, jaja kennen wir schon, Boltanski, Kisten und Fotos und so.

Kater: Da kann man einen Bogen schlagen zu Ihren ganz frühen Arbeiten: Sie machen eine Erfahrung, ob – wie früher – auf der Straße oder wie jetzt im Privaten, im Atelier; sie entdecken etwas und Sie benutzen, verwerten es für Ihre Arbeit.

Kummer: Genau… Nur: die Kisten sind auch schon von mir, sie sind nicht gefunden, die habe ich anfertigen lassen.

Kater: Wieso haben sie denn aber dieses Format, wenn sie eigentlich für die Dias waren?

Kummer: Da war alles drin, da sind natürlich auch Fotos drin gewesen, das ist sozusagen ein Format, das ich angenommen habe. Das sind 27 auf nicht ganz 40 cm. Das ist so bemessen, dass man bis zu 20, 30 Fotos mit ein bißchen Umraum reinkriegt, vom Kleinbilddia bis zum Riesenformat, was so anfällt. Daraufhin habe ich das bezogen… ich bin in der Tat wirklich mechanisch oder ein haptischer, physischer Mensch; körperlich – und brauchte, um mit dem Chaos, was ja wirklich im Atelier vorhanden war und immer noch ist, zurechtzukommen, diese erste Form der Ordnung….

Kater: Wieso gibt es zwei Kisten pro Jahr?

Kummer: Jedes Jahr hat sozusagen 2 Ebenen. Das eine sind fotografische Arbeiten, das andere Bildplastiken.

Kater: Ah, ja. Okay.

Kummer: Und aus dieser Situation heraus, habe ich die Idee entwickelt, dass man die Präsenz, die Raumpräsenz dieser Fotos bei mir im Atelier übertragen könnte in einen Ausstellungsraum.


Theater? Kater: Das Foto hat auch was von einem Bühnenbild, ich sehe da eine Affinität zum Theater, und im Theater wird inszeniert, da wird den Leuten was vorgemacht – das ist das Gegenteil von dokumentarisch oder authentisch. Ich finde, Theater denkt in guter Weise an den Betrachter und nicht so sehr an den, der es eigentlich veranstaltet, es ist also betrachterorientiert. Für mich ist auch deshalb die Lösung, die geschlossenen Kisten nicht zu bestücken, sehr nachvollziehbar.

Kummer: Der Hinweis auf Theater scheint mir nicht ganz falsch. Es gab zum Beispiel auch von jemanden in der Ausstellung den Kommentar, die Arbeit hätte sehr viel mit Tanz zu tun.

Kater: Mit Bewegung…

Kummer: Ja. Letztendlich sind zwei verschiedenen Entwendungsebenen drin, die versuchen, eine neue Wahrnehmungsebene zu schaffen. Das eine ist die Situation des Anstehens am Buffet. Und dann das andere ist die Präsentation einer fotografischen Arbeit in der Horizontalen, eine essentiell andere Erfahrung, als wenn etwas an der Wand hängt.

Kater: Eine horizontale Präsentation wirkt intimer. Aber ist dann nicht der Impuls, das jetzt anfassen zu wollen, viel stärker?

Kummer: Natürlich. Klar, der gehört aber auch dazu.

Kater: Gab es da eigentlich Schäden bei der Arbeit? Gab es da abgegrabbelte Fotos?

Kummer: Es gab … die wurden anschließend entsorgt. Die waren ja auch verstaubt, das war Verbrauchsware in dem Fall.
   Eigentlich hat es gut funktioniert: auf der Eröffnung haben die Leute Schlange gestanden und sind meinen Vorgaben – ich habe die Kästen mit den Fotos ja nummeriert und betitelt – gefolgt. Sie sind im Uhrzeigersinn drum herum gegangen, also einmal die Außenbahn und dann die Innenbahn und dann weg. So wie man Kondolenzen gibt, Abschied von der Leiche... Und das war für mich auch ein Erfolg dieser plastischen Konstruktion, einer Zwitterform, die viele Funktionen erfüllt. Einerseits bringe ich ein Konvolut in den Raum, es ist eine andere Formbehauptung, als wenn sie 30 oder sagen wir mal 120 Bilder in den Raum hänge.

Kater: Das wäre leichter mit einem Blick „ zu scannen“.

Kummer: Genau, man guckt dran vorbei. Außerdem ging es mir darum, dass das sozusagen 180 Fotos sind aus 5000 Fotos. So sind sie imaginär auch vorhanden. Ich habe mit Stefan Berg länger über diese Kritik diskutiert, weil es auch ein Grund dafür war, diese Arbeit nicht anzukaufen. Und Stefan Berg war der Meinung, das es für mich interessant sein könnte, bei einem nächsten Mal vielleicht nicht in alle, aber doch in 30 der geschlossenen Kästen Fotos reinzulegen.

Kater: Aber wieso?

Kummer: Um einfach mal zu sehen, ob für mich das einen Unterschied macht.

Kater: Ist das aber nicht eine romantische Künstlerauffassung? Was kratzt mich als Betrachter, ob der Künstler da eine authentische Erfahrung gemacht hat oder nicht?

Kummer: Vollkommen uninteressant. Metaphysische Geschichte... Es hätte nur dann eine Bedeutung, wenn ich mich zu der Frage gar nicht äußern würde, nicht schon geäußert hätte...

Kater: Es gab in den achtzigern diese Anästhetiktheorie, populär war eine Arbeit von Bruce Nauman, so ein Betonklotz, wo ein Kabel reinging und da drin lief angeblich ein Tonband, mit Schreien von gefolterten Menschen... Nur – durch den Beton – war nichts zu hören... und Nauman hat sich nie dazu geäußert, ob da wirklich ein Tonband drin ist und ob es läuft oder nicht. [Textverweis: Wolfgang Welsch (?) im Kunstforum Nr. 100 glaube ich... den Band habe ich wohl verliehen…]

Kummer: Richtig.

Kater: Ich fand das schon irgendwie spannend, aber das funktioniert doch auf einer ganz anderen Ebene.

Kummer: Und der Zug ist bei meiner Arbeit abgefahren. Weil ich auf die mir gestellten Fragen schon geantwortet habe – und ich habe darauf geantwortet, weil es mir nicht wichtig war und ich nicht mit dem Ziel von Mythosbildung arbeite. Das interessiert mich gar nicht.
   Dazu jetzt noch mal als kleine Nebenbemerkung: Wenn jemand wirklich eine kritische Bemerkung zu "On Sculpture" hätte machen wollen, zu dem Problem der Stapelung der Kisten, dann hätte ihm eigentlich auffallen müssen, dass die unteren Kisten doppelt so viel Volumen haben, wie die oberen. Das hat aber niemand gemerkt. Die Hohen sehen fast so aus wie die Flachen, weil die aufliegenden Deckel der hohen Kisten diese optisch sozusagen in der Höhe teilen… Das habe ich schlicht und einfach gemacht, um Geld zu sparen.

Kater: Um Höhe zu gewinnen.

Kummer: Nee, um Geld zu sparen. Ich hätte ja auch kleine Kisten nehmen können, das hätte nur fast das Doppelte gekostet.


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Bildtitel
Kater: Ich habe ja an der Arbeit nur eine Kritik: das sind die Nummern an den Kisten, die ich zu groß finde. Und ich glaube, die Arbeit wäre eigentlich stärker ganz ohne Nummern. Ich sehe allerdings ein, dass es höchstwahrscheinlich Sinn macht, sie anzubringen, damit man die Bildtitel den Fotos zuordnen kann.

Kummer: Für die nächste oder übernächste Form der Präsentation von "On Sculpture" plane ich, die Bildtitel anders in den Raum bringen… vielleicht als Wandzeichnung. Und dann werden sie mit den Fotos ins Verhältnis gesetzt über ein Zeichensystem. Das ist ein neuer Versuch… weil ich meine Titel einfach zu gut finde…

Kater: Das finde ich schön, dieses „ich finde meine Titel einfach zu gut, um sie nicht zu zeigen“.

Kummer: Genau. Titel sind für mich nicht einfach Beiwerk. Die Bedeutung der Titel wird oft nicht so wahrgenommen… Manchmal dauert es drei Jahre, bis ich einen Titel für eine Arbeit habe und manchmal habe ich einen Titel und die Arbeit nicht mehr…

Kater: Also für mich hat das was zu tun mit – mir fällt kein besseres Wort ein – mit Kanälen, Informationskanälen, die einem helfen, eine Arbeit zu lesen. Ein Titel kann so ein Kanal sein, wie eben auch die Raumsituation oder bewusst ablesbar gemachte Produktionsbedingungen.
Raumumgang
   Ich habe ja die Arbeit "On Sculpture" im Aufbau gesehen und da war der Raum noch nicht „gecleant“. Es standen noch Stühle rum, auf denen leere Kartons lagen, es war alles ein bißchen dreckiger, die Fenster waren ein bißchen unsauberer durch diese alten vergilbten Jalousien abgedeckt… Es gab also diese Produktionsatmosphäre – und so eine Aufbausituation hat oft Qualitäten, die dann der gecleanten Arbeit ein bißchen abgehen, denn eine Arbeitssituation produziert ja auch Situationen, die man lesen kann. Und eine pekige Wand mit Patina funktioniert natürlich in einem Raum, dessen Boden zur Eröffnung museumstauglich gereinigt worden ist, anders, als wenn der Boden auch nach der Eröffnung noch ein bißchen versifft ist.
   Sie haben sich hier, wie eigentlich immer in letzter Zeit, bewusst dafür entschieden, den Raum komplett aufzuräumen?

Kummer: Ja, das Stehenlassen von Entstehungsspuren ist nur in den seltensten Fällen produktiv, das ist ja nur einer der vielen Tricks, die wir Künstler drauf haben. Es wird zu einer Masche, wenn es keine Bedeutung erzeugen kann, das gilt es Abzuwägen. Deshalb finde ich, das muss… – wie soll ich das sagen – ich glaube, man sieht es einfach, ob es stimmt oder nicht. Man müsste über konkrete Fälle reden.
   Faktisch geht man ja meistens doch mit einer Absicht in eine Ausstellungssituation, um etwas zu erzeugen in einem Raum. Das heißt, der Raum in dem man arbeitet und die Arbeit hergestellt wird ist identisch mit dem Raum, in dem die Arbeit gezeigt wird.

Kater: Ja, und man gerät in Versuchung, seine eigenen Spuren zu inszenieren, damit die irgendwas aussagen.

Kummer: Da ist man sehr stark am Manierismus dran und das ist schwierig als Situation. Ich habe mal eine Arbeit gemacht, die programmatisch diesen Ansatz verfolgte. Die heißt jetzt – früher hieß sie „ohne Titel“ – die heißt inzwischen „Perlenkette“, das ist eine Arbeit aus der Zeit mit Büro Berlin, da habe ich alle Heizkörper in einem großen Raum abgebaut, sie mehr oder weniger in eine Ecke geschmissen und dann mit einer Spritzpistole alles rot gespritzt und, nachdem der Lack getrocknet war, habe ich sie da weggenommen und sie in eine andere skulpturale Form gebracht, nämlich aufgereiht flach hingelegt – und die Farbspuren vom Spritzen habe ich nicht entfernt.

Kater: Die Ecke gab‘s noch?

Kummer: Ja, die Ecke gab es noch. Es gab es 40 Meter Abstand dazwischen, aber man konnte das räumlich aufeinander beziehen. Das war damals auch wieder programmatisch eine Situation, wo man Spuren hinterlassen sollte, damit andere Künstler darauf reagieren konnten, deshalb war das vollkommen okay. Ansonsten finde ich das schwierig.

Kater: Oft sind Atelierfotos unheimlich schön…

Kummer: Deshalb mach' ich die ja auch… das Atelier ist ja wie ein Körper.

Kater: Es wächst da was organisch und es macht alles Sinn, weil …

Kummer: Ja, alles hat mit allem zu tun, deshalb sehen die meisten Arbeiten im Atelier am besten aus. Wenn dann der heiße Moment des Transfers kommt, wenn eine Arbeit das Atelier verlässt, hofft man, dass sie auf diesem oder jenem Fußboden, in einem meinetwegen weißem Raum, noch gut aussieht. Und eine Arbeit sieht dann gut aus, wenn sie in sich Substanz hat, wenn sie nicht von vornherein zu sehr abhängig ist vom Ambiente…

Kater: Moment, die Arbeit hat eventuell andere Qualitäten, aber sie hat auf jeden Fall nicht die Qualität, dass sie für sich allein versetzt werden könnte.

Kummer: Zugestanden. Das ist ja für mich einer der Gründe gewesen, vor Ort zu produzieren, um diese Verluste zu vermeiden… Der Ort, an dem das Kunstwerk entsteht und der Ort, an dem das Kunstwerk gezeigt wird, ist identisch. Deshalb ist ja auch die Arbeit von Beuys in Darmstadt so wichtig, weil die bis heute nur von ihm umgedreht und umgestellt und umgemodelt wurde, aber kein Sammler oder Kurator seine schmutzigen Finger da dran hatte. Das ist damals aus der Situation heraus entstanden... Zu dem Zeitpunkt, wo die ganze Welt geschnallt hatte, dass Installationen doch was wahnsinnig Tolles sein können, war für mich die Aufgabe schon gelöst.

Kater: Schade, ich kann das nachvollziehen, aber es ist schade, weil der Diskurs natürlich dadurch nicht unbedingt gefördert worden ist, dass die Leute, die damit angefangen haben, jetzt mehr oder weniger ausgestiegen sind.
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   Ich hatte ja Gelegenheit, Sie während des Aufbaus die Arbeit "On Sculpture" zu besuchen und zu sehen, wie einige Entscheidungen getroffen wurden. Da gab es eine Versuchsphase, wo Sie größere Fotos auch an die Wand platziert hatten… Sie haben sich letztendlich dagegen entschieden, diese Fotos zu zeigen. Können Sie das begründen?

Kummer: Es gab zwei Gründe. Der erste Grund war ganz einfach, das weder die Fotos an der Wand noch die "On Sculpture"-Formation noch atmen konnten. Und es entstand der Eindruck des Bemühtseins: „ich hab auch noch ein paar mehr Fotos – und die in groß – die möchte ich auch noch zeigen…“ Und dann waren das auch gar keine Fotos, sondern es war eine andere, eine neue, Ebene: es waren Digitaldrucke. Und es hat die Poesie der Arbeit zerstört, es war ein Griff zu viel. Das ich überhaupt rumprobierte, lag vielleicht auch daran, das ich in München bei der ersten Präsentation noch Fotos [Digitaldrucke?] dazu gezeigt hatte. Aber das war auch eine andere räumliche Situation. Das haben wir [Kummer+Kurator?] dann eben gesehen, das ging einfach nicht in Berlin. Und es gab die Setzung: dieser Raum ist ein vorgefundener Raum, der wird nur minimal verändert.

Kater: Sie haben das Licht verändert.

Kummer: Ich habe das Licht, das in dem Raum war, gebündelt, ja.

Kater: Sie haben die Lampen so umgebaut, das sie exakt über der U-Form…

Kummer: Also das U der Kisten noch mal geschrieben, ja.

Kater: Und Sie haben, glaube ich, die Höhe der Lampen abgestimmt auf die Höhe des Durchgangs. Oder war das Zufall?

Kummer: Das war Zufall.

Kater: Aber das passte extrem gut.

Kummer: Ich Hab die Höhe des…

Kater: Ach, sie haben die Höhe des Durchgangs auf die Lampenhöhe… pfiff… also...

Kummer: Ja. Es war – auch – eine ortsbezogene Arbeit, der Raum als solcher war Teil der Arbeit. Das ist zwar nicht so explizit wahrgenommen worden, aber es war zentral wichtig und wenn ich die Digital-Prints hingehängt hätte, dann wäre sozusagen der Raum nicht mehr ein Element der gesamten Arbeit gewesen, sondern wäre ein normaler Ausstellungsraum geworden. So aber blieb der Raum, der ja mal wirklich ein Archivraum gewesen war, als solcher spürbar, der war ja nicht angestrichen, nichts. Die Aura des Raumes wurde durch die Umsetzung der Lampen nur leicht verschoben und sozusagen zur Verstärkung der Präsenz von "On Sculpture" eingesetzt. Ein weiteres neues Element hinzuzufügen, hätte die Raumsituation zerstört.
   Das der Raum in Berlin so gut funktioniert hat, jetzt mal abgesehen davon, dass die Fotos, die da in den Kästen lagen, vielleicht auch nicht so ganz uninteressant sind, lag daran, dass der Raum einfach eine bestimmte Frequenz erreicht hat [wo man sich gerne eine gewisse Zeit aufhalten will]. Einen Einklang zwischen dem, was man da betrachtet, dem Licht und dem Umraum, in dem man sich bewegt. Das habe ich ja auch empirisch entwickelt, ich…

Kater: Moment, haben Sie dort verschiedenene Formationen von Kästen aufgebaut und die dann abgeschritten um die Proportionen…

Kummer: Ja. Und den Blick nach draußen zum Bahnhof Zoo, den ich sehr gewollt hätte, konnte ich dann doch nicht zulassen. Denn Archive haben immer etwas klaustrophobisches, eine etwas stickige Atmosphäre, da kommt kein Sonnenlicht hinein, schon allein aus Gründen des UV-Schutzes usw. Und das war in dem Raum mit den alten Sichtblenden vor den Fenstern schon natürlich gegeben.
   Und alle Eingriffe, es sind ja Türen ausgebaut worden, versteckt worden usw., habe ich so gesetzt, dass man sie nicht sieht… Ein Raum hat immer eine gewisse Stimmung, entweder geh ich da rein und akzeptiere die und setze da was hinzu oder wenn ich da was verändere, dann muss ich alles durcharbeiten – wenn ich da nur mal was weiß streiche, damit meine Bilder besser kommen, und die Decke und den Fußboden aber nicht renoviere, dann sieht das Scheiße aus.

Kater: Wenn man Pech hat, gerät etwas aus dem Gleichgewicht...

Kummer: Ja. Wenn man es will, punktuelle Eingriffe schon einsetzen, zum Beispiel habe ich mit M. [?] mal eine Arbeit gemacht, da haben wir nur den Fußboden sauber gebohnert – und das hat funktioniert. [Titel und Jahr der Arbeit… hier versagte die Aufzeichnung anscheinend vollkommen].
Das ist eine Zwitterform, …in letzter Zeit, wenn man das jetzt noch mal ein bißchen ausweitet, eigentlich mehr oder weniger auch das, was übrig geblieben ist.

Kater: Wie wäre die Präsentation von "On Sculpture" in einem echten musealen Raum gelaufen? Was hätte das für Konsequenzen gehabt?

Kummer: Keine großen, da bin ich relativ sicher.

Kater: Aber Sie haben vorhin ja noch beschrieben, wie die Atmosphäre des Raumes nutzbar gemacht worden ist. Sie hätten diese spezielle Energie nicht gehabt, es hätte eine andere Lösungen gegeben müssen.

Kummer: Es hätte eine andere Lösung gegeben, es hätte bestimmte Verluste gegeben, aber nicht essentielle Verluste. Diese Arbeit hat in sich so viel Substanz, behaupte ich jetzt mal, dass sie auch in dem cleansten White-Cube-Raum kommt und wenn da irgendwas dann noch nicht so richtig stimmen würde, dann würde ich das so hin-ditschen, dass es dann stimmt.



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Zugaben Kummer: Es sind eigentlich nicht diese Wertigkeiten, dass ein weißer Raum schlecht ist und ein dreckiger Raum gut, oder das Bronze scheiße ist und Fotokopie gut... alles ist Material und das Material erzeugt Bedeutung und die steht in einem historischen Kontext.


***


Kummer: Ich habe immer wieder feststellen müssen, das Asynchronitäten stattfinden beim Lesen von Materialbedeutungen… und letztendlich ist das kein Kriterium mehr für mich, es ist mir schon relativ egal, denn ich folge meinen subjektiven Erfahrungen und Wertungen.


***


Kummer: Es gibt eine Logik des Materials, eine Sprache des Materials, die etwas kommuniziert, und da gibt es Ebenen, wo etwas funktioniert oder wo etwas nicht funktioniert.


***


Kater: Die Gattung „Installation“ hat ein bißchen das Pech gehabt, dass ein Großteil ihrer Entwicklungszeit in diese Postmoderne-Diskussion fiel, was ja zwingend nichts miteinander zu tun hat, aber dadurch eben die Installation in einer Zeit auftrat, wo man einer Anything-goes-Mentalität das Wort redete. Das beförderte nicht gerade die Diskussion von Kriterien für Installationen…

Kummer: Richtig. Nur ein Beispiel, die Jason Rhoades Arbeit hier in der Flick-Collection, die hat für mich in keinster Weise eine Formqualität.

Kater: Da wird ideologisch argumentiert.

Kummer: Ja, das ist quasi Ideologie im Sinne von „Erdrücke den Betrachter durch Menge“, aber es ist nichts ablesbar, es nichts nachvollziehbar, weder der Herstellungsprozess noch der Bildfindungsprozess. Es reitet auf einer Welle. So etwas ist längst als machbar etabliert…


***


Kummer: Die Leute gucken nicht hin.

Kater: Die Leute gucken nicht hin?

Kummer: Ja. Sie erleben einfach die Situation nicht wirklich. Oder nur sehr partiell.


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