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Wie verstehen Sie Ihre Rolle als Kurator? Gespräch mit Stephan Schmidt-Wulffen am 11. März 1997 im Hamburger Kunstverein. Aus: Das innere Leuchten checken Eine Publikation von Armin Chodzinski und Hannes Kater Die Gesprächsteilnehmer: C: Armin Chodzinski K: Hannes Kater H: Hinrich Schmieta S: Stephan Schmidt-Wulffen |
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C: Wie verstehen sie sich in ihrer Rolle als Kurator? Welche Hoffnungen und Erwartungen verbinden sie mit dem Ausstellen? Im Katalogvorwort zu der Ausstellung "Erste Wahl" schreiben sie, daß künstlerische Arbeit offenbar viel mit Informationsmangel zu tun habe. S: "Erste Wahl" antwortete auf ein spezielles Problem. Institutionen wie der Kunstverein stehen immer unter dem Erwartungsdruck, auch die lokalen Künstler zu repräsentieren. Es sind aber nicht alle Künstler einer Stadt, die diese Erwartung formulieren. Es gibt ja immer eine selbst organisierte Künstleröffentlichkeit, die sich gerade durch die Distanz von Institutionen wie dem Kunstverein definiert. Und dann gibt es die Einzelgänger, die sich - meist aufgrund eines überholten Rollenbildes, das sie vom Künstler haben - nicht nur persönlich isoliert haben, sondern dann auch mit ihrem privatistischen Kunstverständnis ins Abseits gearbeitet haben. Gerade sie schielen auf die Institution und meinen, diese hätte eine Verpflichtung ihnen gegenüber, weil sie in dieser Stadt wohnen. "Erste Wahl" war eine Ausstellungsmethode, um mit diesem Anspruch dialektisch umzugehen. Eine gute Idee und zwangsläufig eine schlechte Ausstellung: Ein Künstler aus Hamburg lud den für ihn wichtigsten Künstler dieser Stadt ein; die Inszenierung folgte genau dieser Kette von Verbindungen. Sie bildete also Beziehungen im weitesten Sinn des Wortes ab. Die erfolgreiche Künstlerin in mittleren Jahren lud da noch immer ihren Hochschulprofessor ein, der wiederum einen seiner Studenten einlud, der vor Jahren Examen gemacht hatte und in Hamburg hängen geblieben war. Das habe ich mit dem Informationsdefizit gemeint, das die Kunstöffentlichkeit einer Stadt durchzieht: Überraschender Weise waren es selten formale oder inhaltliche Gründe, die zur Einladung führten, sondern häufig persönliche Freundschaften, Verpflichtungen. Außerdem dominierten "Familienähnlichkeiten": Medienkünstler laden Medienkünstler ein und es brauchte dann eine gewisse Anstrengung, im gemeinsamen Gespräch jemanden aus einer anderen Gattungen zu nominieren. "Erste Wahl" war aus mehreren Gründen interessant. Die Ausstellung hat zunächst die Psychopathologie regionaler Kunst offengelegt: den Selbsteinschluß durch Informationsverweigerung. Und das hat, ich habe es schon angedeutet, mit einem "genialischen" Künstlerbild zu tun, das die Auseinandersetzung mit anderen Künstlern, mit dem zeitgenössischen Geschehen, kurz: professionelles Agieren als Trübung der Originalität begreift. Dabei wird dann auch deutlich, wie innerhalb einer Szene eher das Emotionale eine Rolle spielt als die Qualität. Ein Schock für mich lieferte der Teilnehmer, der ganz offen zugab, jemanden nur einzuladen, weil er sonst nie wieder mit ihm reden würde. Schließlich hat mir das Ganze zu denken gegeben, was die Rolle des Kurators als Regulativ angeht. Ich fand, daß durch diese Ausstellung die Rolle des Kurators wieder eine gewisse Legitimation bekam, denn die ist ja auch durchaus fragwürdig. |
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K: Für die "Kleinen Universen" haben wir keine fertigen Arbeiten ausgewählt, sondern die Künstler gebeten, vor Ort zu produzieren. Und irgendwann sagten wir uns: O.K., jetzt macht er, was er will. Man kann noch mal sagen, daß das ein Mißverständnis ist, was gerade abläuft, aber irgendwann ist einfach Ende und man sagt sich: Du bist dran, also mach mal. S: Ja, das geht uns ja genauso. K: Wie sich das Ganze dann arrangiert ist eine Form von Selbstorganisation mit Eingriffen. H: Ich habe in dem Moment den Kurator deshalb zu schätzen gelernt, weil er in seiner Position einfach einen anderen Status hat. Er ist jemand, der in einer anderen Sprache agiert ... K: Und vor allem keine eigene Arbeit in der Ausstellung hat ... das ist sehr wichtig. S: Die ganze Ausstellung ist seine Arbeit - das ist doch das gefährliche Argument: der Kurator sucht sich selbstherrlich "seine" Künstler aus, stellt die Arbeiten zusammen, und das Endergebnis hat mit den Künstlern gar nichts mehr zu tun, sondern spiegelt nur die Ideenwelt des Kurators wider. "Der Lauf der Dinge" im Kölner Kunstverein schien mir so ein Projekt zu sein. Man wußte überhaupt nicht mehr, wie sich die Arbeit von Erwin Wurm von der von Fischli/Weiss unterschied. Beides fügte sich irgendwie in die Idee eines Kunstvereins im Umbau ein. Da hing eine Arbeitslampe an der Decke, an der stand, sie sei von Matthew McCathleen das konnte man glauben oder nicht. Es hätte auch eine Lampe von Udo Kittelmann sein können. Diese Ausstellung hat mich wirklich irritiert, weil sich Udos Konzeption nur auf die Form der Arbeiten bezog, aber nicht die umfassenderen künstlerischen Konzepte berücktsichtige. Der leere Sockel von Erwin Wurm mit den Staubkonturen darauf spielt mit der Idee der Abweseheit und der Anwesenheit des Werkes. Der Kontext dieser Arbeit muß eigentlich eine intakte Ausstellungsstruktur sein. Fischli/Weiss provisorische Baustelleninszenierung aus Styropor liefert mit diesen künstlichen Mitteln nicht nur ein Bild; sie sondiert auch die Grenze zwischen dem Exponat und dem ausgeblendeten Ausstellungsdispositiv. In beiden Fällen erscheint es mir nicht gerade produktiv, den Ausstellungsrahmen aufzulösen in einer Inszenierung, die vorgibt, der Kunstverein sei gerade im Umbau begriffen. Die erste Aufgabe des Kuratierens besteht meines Erachtens darin, wie man das, was im Werk nicht wahrnehmbar ist, die künstlerische Haltung, das Programm, durch flankierende Maßnahmen, durch andere Arbeiten erfahrbar macht. Das halte ich für eine ganz wichtige Aufgabe, sozusagen die Basis des kuratorischen Handwerks. Es gibt bei uns auch so etwas wie ein Handwerk! |
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K: Muß denn der Künstler nicht selbst ein Stück weit Verantwortung tragen, daß sich die sog. Haltung in seinen Arbeiten transportiert? S: Das ist im Prinzip richtig, und doch unterschätzt man dabei immer die politische Seite des Geschäfts. Die Verführung, in einer Ausstellung mitzumachen, die während der Messe in Köln eröffnet wird und zu der Leute aus aller Welt kommen, ist eben doch sehr groß, größer als inhaltliche Vorbehalte. Was hinterher bleibt, sind der Katalog und das Plakat. Die Struktur der Ausstellung ist sowieso zweitrangig. Man würde sich wünschen, daß die Haltung einiger Künstler kritischer wird. K: Wenn der Kurator die Haltung zur Kenntlichkeit bringen soll, trifft er da nicht auf Widerstand bei den Künstlern, die sagen: ich möchte mich da selber drum kümmern? Sollte diese Haltung nicht schon in der Arbeit sein? S: In der Arbeit selber wird sie nie vollkommen sichtbar. Das würde einen traditionellen, autonomen Werkbegriff voraussetzen. Wenn sie eine Maillol-Skulptur machen, dann können sie darauf bestehen, das eine weiße Raumecke und möglichst neutrales Licht ausreichen, denn alles ist in dieser Arbeit drin. Ob die nun einen Meter vor der Wand steht oder direkt an der Wand, das ist im Grunde egal. Meistens haben wir aber mit diesen autonomen Arbeiten überhaupt nichts mehr zu tun, und da selbst Arbeiten, die autonom aussehen, es nicht mehr sind, fällt dieses Argument schon einmal weg. Das Verhältnis zwischen Künstler und Kurator ist im Grunde bereits eines der Kooperationen. Man kennt sich, man verfolgt die Arbeiten über einen langen Zeitraum, man hat das eine oder andere Mal schon zusammen gearbeitet. Es beginnt dann so etwas wie eine Verhandlung, die gemeinsame Arbeit an einem Aspekt des Werkes. Immer vorausgesetzt, daß das Werk nicht als autonom postuliert wird, nicht in seiner Materialität definiert wird, sondern als Teil eines gedanklichen Kontextes, bestimmt auch durch eben diesen Diskurs. Wenn die Kooperation beendet ist, und die Ausstellung öffnet ihre Türen, dann wird es für alle langweilig. Für die Künstler, die gehen da nicht mehr hin, die Kuratoren auch nicht mehr, und das Publikum langweilt sich sowieso. K: Warum langweilt sich das Publikum? S: Das haben wir wieder das Thema des autonomen Werkes. Diesen ganzen Erfahrungsprozeß, den Künstler und Kurator gemacht haben, vollzieht der Betrachter natürlich nicht mit. Der ist im Grunde mit einer autonomen Ausstellungs- situation konfrontiert, in welcher er nur noch mit Mühe überhaupt etwas versteht. Wie einer, der zu spät auf die Party kommt; das ist ja auch kein gutes Gefühl. Unser Problem ist heute, wie können wir eigentlich diese Grenze überbrücken, wie beteiligen wir den normalen Rezipienten an diesem geistigen Produktionsprozeß? Kurz: Wie können wir den immer noch von einem autonomen Werkbegriff bestimmten Ausstellungskontext auf die diskursive Praxis der Kunst heute umstellen? K: Eine Idee wäre doch, daß eine Ausstellung nicht statisch sein muß, sich weiter verändern kann! S: Ja, sicher. K: Ich möchte aber nochmals nachhaken: Warum für den Betrachter langweilig? S: ... weil er nicht produktiv ist. K: ... weil er die produktiven Prozesse nicht nachvollziehen kann? S: Nicht nur das, sondern er ist nicht produktiv, in dem Sinne wie es Künstler und Kurator zusammen sind. Über das gemeinsame Operieren im Ausstellungsraum werden Denkformen erst wirklich abgecheckt und Entwicklungsmöglichkeiten tun sich auf. K: Entwicklungsmöglichkeiten meint, man kann das ganze in 3D nach bauen und den Gast alles umbauen lassen oder meint es den Kontakt mit dem Künstler? S: Also bei dem Kontakt mit dem Künstler bin ich so ein bißchen skeptisch. Das ist wie eine ambulante psychologische Praxis, und das kann kein Künstler leisten. H: Sie haben sich - ich will auf die Qualität des gestalterischen Prozesses hinaus - lange damit beschäftigt, der Künstler hat sich damit lange beschäftigt, kann man da jeden überhaupt so heranlassen? Ich will auf eine Hierarchie hinaus ... S: Für die Kooperation von Künstler und Kurator gibt das materiale Werk doch nur einen Anstoß. Radikaler kann man doch heute sagen: Das Werk findet doch nur im Fluidum des Diskurses statt. Die Teilhabe des Betrachters muß ja nicht darin bestehen, daß jeder, der ein anderes Verständnis vom ausgestellten Künstler hat, sich eine Arbeit packen kann und woanders hinstellt. Man muß das Problem doch gerade auf der diskursiven Ebene stellen: Wie läßt sich der Rezipient in die diskursiven Transaktionen einklinken? Die Frage ist die: Wie macht man aus dem Museum eine Werkstatt, mit all den Elementen, die in diese Werkstatt gehören? Das Werk, das ist ja diese Augentäuschung, der wir immer noch unterliegen, weil wir das Museum des 19. Jh. im Kopf haben, das Werk ist eine kleine Komponente in dieser Werkstatt. Es gibt unendlich viel anderes Material. Die Zeit, in der ich mit dem Künstler wirklich in der Halle bin, ist verschwindend klein, gemessen an dem Zeitraum, wo wir uns treffen, Bilder angucken und miteinander reden und Dritten davon erzählen. Es ist schon möglich, eine Art Werkstattsituationen zu etablieren, aber die Frage ist: Wie ist das machbar? Ich habe auch kein Rezept dafür. |
Arme Sau, so ein Rezipient... | ||||||||||||||||||||||||
K: Mich interessiert noch mal der Begriff des autonomen Kunstwerks. Sie meinen, das würde nicht mehr funktionieren. Aber welche Informationen kann denn ein Kunstwerk dann noch transportieren? Glauben sie, daß es im Ausstellen eine Perspektive gibt, daß Dinge wieder mehr ins Sichtbare gezogen werden? Nicht ins Eindeutige, aber ins Ablesbare? S: Ihre Frage ist schon falsch gestellt, weil sie mit dem Bild vom Kunstwerk, das eine Bedeutung transportiert, eine überholte Trias von Autor - Bedeutung - Werk suggerieren. |
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Dagegen plädiere ich für eine andere Sichtweise, die in der Kunstentwicklung der letzten drei Jahrzehnte verankert ist. Ich denke an Künstler wie Robert Smithson oder Marcel Broodthaers. Da existiert zunächst einmal ein Kunstdiskurs, der darüberhinaus auf anderen Diskursen basiert. Und dieser Diskurs definiert die Positionen von Künstler, Kurator, Rezipient. Er definiert auch die Rolle des Werkes. Es gibt also Bedeutungsproduktionen, die nicht an Werke und nicht an einzelne Autoren gebunden sind. Wenn wir von der "Bedeutung" von Werken sprechen, wenn wir Werke bedeutungsstiftend in Ausstellungen plazieren, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, das wir in die Falle einer Denkkonvention tappen. Und wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, das Sinnhaftigkeit tatsächlich immer dialogisch organisiert ist, organisiert sein muß! Noch ein Beispiel zur Produktivität der Ausstellungssituation im Sinne eines solchen diskursiven Produzierens: Wir haben eine Ausstellung im Sommer gemacht, da ging es um die Frage: Was ist eigentlich heute Malerei? Inwiefern hat diese Malerei mit einem neuen Sinn für das Stoffliche zu tun? Und wie hängt das mit den Positionen der Jahre zuvor zusammen, in denen das Stoffliche eine eher untergeordnete Rolle spielte? In dieser Ausstellung gab es zum Beispiel eine Kombination von Vitrinen und Schriften von Irene und Christine Hohenbüchler mit Wolfgang Tillmanns. Man geht zu den Hohenbüchlers und fragt: Warum stellen wir eure Sachen nicht in einen Raum mit Tillmanns? Und wenn die dann sagen: Mhhh, das könnte vielleicht ganz gut gehen, dann hat man schon mal die Hälfte der Partie gewonnen. Tillmanns hat es sich hinterher angeguckt und fand es auch eine gute Lösung. Man geht in den Raum und stellt fest: das stimmt. Was daran gut ist? Die Arbeit von Tillmanns wird über den Werktypus der Hohenbüchlers in gewisser Weise gebrochen. Ähnlichkeiten und Parallelitäten werden suggeriert, weil wir immer noch denken: Wenn formal ein Zusammenklang gelingt, muß es auch geistig irgendwelche Gründe dafür geben. Dieses Kombinieren von künstlerischen Haltungen mittels der Werke finde ich eine sehr interessante Arbeit - die kann ein Künstler machen, die kann ein Kurator machen. Nicht weil ich meine, daß die Kuratoren Künstler seien, sondern weil sich das Künstlerbild immer stärker verschoben hat, hin zu jemandem, der eine Philosophie - ein philosophisches Fragment - versucht in diese Gesellschaft zu diffundieren. Dies kann er im Museum machen, auf dem Sportplatz, überall sind heute künstlerische Interventionen möglich, aber es geht immer um ein Stück Philosophie, um ein Stück Denken, das unter die Leute gebracht werden soll. Und das macht ein Kurator in ähnlicher Weise. Es geht immer um kulturelle Intervention. Auf dieser Basis ist eine Verständigung viel leichter, weil wir uns über Denkformen verständigen, und die Arbeit steht als Symptom für so eine Denkform. K: Uji ... S: Nein? |
Ich bin der Überzeugung, (...) dass sich der Kunstbetrieb, so wie wir ihn kennen, in absehbarer Zeit bis zur Unkenntlichkeit auflösen bzw. verflüchtigen wird. Nicht nur aus ökonomischen Gründen und Zwängen, sondern weil mittlerweile auch noch die letzten Reste des Kredits, von dem der Kunstbereich noch immer zehrt, verspielt werden. Ein Kredit , der noch religiöser Natur und avantgardistischer Herkunft ist: der Kunstbereich als gesellschaftliche Speerspitze, als Zukunftslabor etc. das Gegenteil ist mittlerweile der Fall: es gibt kaum einen gesellschaftlichen Bereich, der konservativer und konformistischer ist. Was allerdings geblieben ist und worin sich dieser Bereich noch von anderen unterscheidet, sind seine schlechten Angewohnheiten: purer Ambitionismus und Prätention. Ich halte es für ausgeschlossen, dass kommende Generationen diesem Sektor weiterhin einen Kredit geben. Ich will damit allerdings nicht das Ende einzelner Disziplinen prophezeien, die, wenn sie nicht in anderen Bereichen aufgehen, in kleinen randständigen Enklaven überleben werden. Auszug aus einer email von Alexander Roob an Stephan Berg mehr hier. |
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K: Ich bin ein ganz bißchen skeptisch ... S: Ja? Warum? K: Ich glaube noch an eine Form von ästhetischer Qualität, die nicht nur mit Denken zu tun hat. Um es ganz pathetisch zu sagen: eine Form von Unsagbarkeit. Es gibt Dinge, die man mit Worten nicht ganz so gut sagen kann, und dies würde ich nicht unbedingt als Denken bezeichnen, das ist etwas anderes ... ich glaube, das Kunst kein intellektuelles Spielzeug ist ... S: Wenn ich von Denken rede, rede ich nicht von intellektuellen Reflexionen. Wenn sie arbeiten und sich entscheiden, für das nächste Bild Enkaustik zu verwenden, weil sie eine Flasche Rotwein getrunken haben; das ist keine Reflexion, das ist etwas, das wie zufällig kommt. Sie werden nur vielleicht nach zwei Jahren sehen, daß dieser Übergang von der Ölmalerei zur Enkaustik auf eine gewisse Art und Weise Sinn gemacht hat, die wir gar nicht klären müssen. Das Interessante ist, das was sie getan haben, müssen sie für sich selber irgendwie einholen. Sie müssen sich fragen, was sie gemacht haben. Sie akzeptieren es als einen Schritt. In diesem Sinne spreche ich von Denken. Das kann man Denken nennen, das kann man Handlung nennen, aber wir haben es immer mit strukturierten Abläufen zu tun. Gucken sie sich mal den Werkaufbau von Herrn Polke an, der ist unglaublich überzeugend, weil er immer wieder in dem genau richtigen Moment das Richtige getan hat. Eine hohe operative Intelligenz. Die intellektuellen Konstruktionen sind da irgendwie wie der Wagenheber beim Auto. Wir sind alles Spezialisten, wir wollen wissen, wie das Auto funktioniert, müssen es anheben, drunter gucken, uns was überlegen ... aber klar, das Kriterium, was zählt, ist daß das Auto fährt. |
Frage: Noch einmal zurück zu Ihrem Namenspatron Anselm von Canterbury. Von dem stammt die folgende Überlegung: Glauben, um zu erkennen, und erkennen, um zu glauben. Anselm Kiefer: Malen, um zu erkennen, und erkennen, um zu malen. Bei jedem neuen Thema, das ich angehe, bei jedem Erlebnis, das ich verarbeite, gibt es zunächst keinen Diskurs. Die Erkenntnis stellt sich erst im Verlauf des »Malens« ein. Dann aber verändert der gewonnene Standpunkt wiederum das »Malen«. Diesen Vorgang, diesen Zirkelschluss kann man selbst auf die Produktion jedes einzelnen Bildes anwenden. Anselm Kiefer und Klaus Dermutz im Gespräch In: Zeit vom 03.03.2005, Nr.10 |
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C: Um noch mal auf diesen ganz deutlichen Bezug zwischen Künstler und Kurator zurückzukommen. Die Entwicklungen spielen sich zwischen Künstler, Kurator und den an der Ausstellung Beteiligten bis zu dem Punkt der Ausstellungseröffnung ab. Die Frage ist doch dann aber, welche Legitimation das Ausstellen überhaupt noch hat? S: Vielleicht sollte man unterscheiden zwischen Arbeit in der Kunst und musealen Showbusineß. Wenn ich jetzt sage, machen wir doch mal eine Mapplethorpe-Show, dann haben wir 40.000 Besucher. Für die ist es völlig egal, ob Mapplethorpe schwul war, ob der an Aids gestorben ist oder daß diese Kunst in Amerika kontinuierlich zensiert wird. Schöne nackte Leute, möglichst lange Schwänze und dann klingelt die Kasse. Das hat mit unserem Metier immer weniger zu tun, auch wenn der kulturpolitische Druck immer mehr in diese Richtung geht. Wie einmal der Bochumer Bürgermeister gesagt hat: Eine gute Ausstellung ist eine, bei der die Schlange der Besucher von der Kasse bis zum Bahnhof reicht. Das ist wirklich Showbusineß auf dem Niveau von Cats und hat mir unserem Thema hier eigentlich nichts zu tun. Wer sagt eigentlich, daß das Geld des Staates nur für die Besucher ausgegeben werden muß? Vielleicht ist diese Institution auch dafür da, Künstlern Arbeits- und Reflexionsraum zu bieten, vielleicht ist das ein Labor, das für Künstler finanziert wird. Und dann kommen eben diese 3000 wirklich Kunstinteressierten, die sich daran beteiligen wollen. Das ändert letztlich an dem Dilemma nichts, denn selbst die meisten dieser Besucher kommen hier her, als handelte es sich um eine Ausstellung von Maillol oder Cézanne. Wie können wir denen eigentlich klar machen, daß die Haltung des Rezipienten zu Produkten von z.B. Pippilotti Rist eine ganz andere ist? Eigentlich müssen wir die Struktur des Ausstellungshauses grundsätzlich verändern. K: Wie denn? S: Ich habe auch kein Patentrezept, aber wir wollen jetzt etwas nachhaltiger zu experimentieren beginnen. Wir fangen demnächst mit einem Projekt an, da dauert die Ausstellung mindestens 10 Monate. Und hat zunächst einmal die Aufgabe, Geschichte zu sichern. Ein großes Problem in diesem Showbusineß ist, daß nur die Neuigkeit zählt. Wer immer Neues verkaufen muß, der ist sehr daran interessiert, vergessen zu machen, daß es vor drei Jahren so etwas schon einmal gegeben hat. Das heißt, daß in diesem Showbusineß Geschichte kontinuierlich und systematisch verdrängt wird. K: Das ist aber ein gesellschaftliches Problem ... S: Ja. Also diese 10 Monate sind zunächst mal dazu da, sich historisch zu vergewissern. Wir springen also nach 1978/79 - die Ausstellung heißt "Fast Forward" - und flitzen noch mal durch zwanzig Jahre Kunstgeschichte im Schnellgang. Dabei werden fünf zentrale Reflexionsfelder berührt, die für die Gegenwartspraxis kultureller Arbeit eine pogrammatische Rolle spielen. Das Thema der Medien, Fotografie, Film usw. Massenkommunikation. Dann das Thema, wie wird eigentlich Subjektivität heutzutage konstruiert? Wie wird diese Subjektivität mit einer Konstruktion des Körpers in Einklang gebracht? Subjektivität ist nicht, wie uns die abendländische Geschichte lehrt, eine Gegebenheit, sondern etwas, daß durch soziale Verhaltensformen konstruiert wird. Das dritte Thema ist das Kunstwerk in seinem Verhältnis zur Ökonomie. Ist das Kunstwerk wirklich kategorial so etwas ganz anderes als das neue Modell von Volkswagen, oder haben da eine viel größere Verwandtschaft in einer Gesellschaft, die alles über Warenaustausch regelt, als es die idealistische Kunsttheorie zugegeben hat? Und dann gibt es ein Kapitel über die Geschichte: Wie wird eigentlich heute Geschichte konstruiert? Und ein Kapitel über das, was man lokale Praxis nennen kann. Künstler, die diese Idee haben, daß man überhaupt nur einen ganz spezifischen Partner hat, mit dem man sinnvoll über Inhalte reden kann. Das sind dann die Aidskranken oder die ausgebeuteten Frauen oder der ... K: ...der Bruder. S: ...der Bruder oder die Obdachlosen, genau, weil das Verhältnis privat/ öffentlich eine ganz große Rolle spielt. Die Ausstellung wird sich fließend umstrukturieren, eine Arbeit von Gonzalez-Torres bleibt zwei oder drei Ausstellungsstationen stehen und es kommen neue dazu und es verschwinden andere. Man merkt plötzlich, wenn der Gonzalez-Torres einmal neben dem Jeff Koons für die Warenzirkulation steht und sechs Wochen neben Jeff Wall für das Recycling von historischen Formen, dann sieht man plötzlich, daß dieselbe Arbeit ein Medium ist, auch für eine gedankliche Auseinandersetzung. K: Stichwort radikaler Konstruktivismus. S: Jedenfalls, diese Ausstellungsstruktur scheint mir ein erster Ansatz für eine andere Form von Praxis zu sein. Es nützt nicht sehr viel, dann nur einmal im Jahr den Hamburger Kunstverein zu besuchen. Im Grunde muß man immer wieder kommen, so wie man freitags in die Sauna geht, mittwochs zu uns. K: Wie man in eine Kneipe geht und kein Freund da ist, und dann ... S: ... mal gucken, wer ist denn eigentlich sonst noch da ... K: Lebensraum .... S: ... so in etwa. Das muß man dann natürlich begleiten, indem man die Möglichkeit gibt, über die Dinge zu reden. Wir wollen sogar soweit gehen, wenn z.B. Jenny Holzer in der Stadt ist, dann soll Sie die Dinge umschieben, in einer Weise, wie sie es signifikant findet: Damien Hirst, kommt alles in die Ecke, will sie nicht sehen. So. Das ist ein Statement, dann kann man wieder herkommen und sich wundern, wer hier aufgeräumt hat. Da sind wir wieder bei dem strukturellen Handeln. K: Und wie kriegt man diese und andere Informationen "vermittelt", also was mache ich mit dem Besucher, der nach fünf Monaten kommt und nichts weiß? S: Der hat Pech gehabt, das ist nämlich der klassische Besucher, nach dem Motto: Schauen wir mal rein, was steht da wieder rum? Unsere Kundschaft sind die Leute, die wie Fußballfans jede Woche einmal in die Tabelle gucken. Die finden das Spiel St.Pauli gegen den FC Köln interessant, weil sie wissen: Es geht um den Abstieg. Wenn man das nicht weiß, ist es eben langweilig. Wir wollen unsere Tabelle vermitteln, und deshalb haben wir unten auch diesen Poolraum. Dort gibt es eine ganz funktionale Struktur: Tische, Regale, eine Bibliothek, es gibt Video, es soll einen Internet-Anschluß geben. Der Passant, der erst im Oktober entdeckt, daß etwas Spannendes passiert, bekommt so die Chance, sich durch Kataloge, Dias und aufgezeichnete Künstlergespräche arbeiten zu können. K: Ist das ein Erkenntnisinteresse, das eher künstlerischer Art ist, oder ein Interesse der Vermittlung, also wo ist die Arbeit, wo ist der Schwerpunkt Ihrer Arbeit ? S: Also, der zentrale Ansatz ist der, daß es seit ungefähr 10 Jahren eine Form künstlerischer Arbeit gibt, an der die Form des Ausstellens total vorbeigeht. Ich glaube, daß es eine Entwicklungsgeschichte gegeben hat, daß Mitte / Ende der 60er Jahre etwas geendet und etwas begonnen hat, das vielleicht auf das nächste Jahrhundert weist und das völlig andere Formen der Vermittlung ... K: Es geht also schon um Formen der Vermittlung und nicht um künstlerisches Handeln? S: ... das bezieht sich aufeinander. Es gibt eine Form künstlerischer Praxis, die andere Formen der Vermittlung verlangt, damit die Vermittlung nicht die Praxis der Künstler angreift, zerstört oder lahmlegt. Es gibt vielfältige Experimente. Im letzten Jahr hat es ein Projekt gegeben in den Staaten, wo neun Künstler eingeladen wurden, drei Monate lang in Gruppen mit einer Shaker-Gemeinschaft zu leben und zu arbeiten. Da hat es keine Ausstellung gegeben, da gibt es vielleicht ein Buch. Sie haben, im Sinne dieser lokalen Praxis vor Ort, mit den Leuten gesprochen, haben an ihrer Landarbeit teilgenommen und haben gleichzeitig ihre künstlerische Arbeit gemacht. H: Moment, woher kennen sie das als Projekt? S: Weil ich einige der Künstler kenne, die da mitgemacht haben. H: Es gibt keinen Katalog, keine Ausstellung, das klingt alles sehr sympathisch abgewandt, aber wie bekommt man Kenntnis davon? S: Ja, das ist eines der zentralen Kriterien: rein in den diskursiven Rahmen, wie auch immer. Man kann zu den fünf Galerien gehen, man kann Künstler anrufen und sich mit denen treffen, aber man muß irgendwie in diesen Rahmen reinkommen, indem man sich vergewissert, daß das, was aktuell verhandelt wird, nicht an einem vorbeigeht. Bei mir ist das so, man geht zu der Eröffnung vom Büttner, da sitzt Sam Samore, und dann sagt man: "Na, was hast Du gemacht?" und dann plötzlich weiß man davon. Es gibt andere Projekte dieser Art: Pardo eröffnet im nächsten Juni eine Ausstellung, da hat er das Muca in Los Angeles überzeugt, daß von seinem Ausstellungsetat ein Grundstück gekauft werden soll, und auf diesem Grundstück baut er sich sein Haus, zeigt dort dann eine Selektion von Werken aus dem Museum. Dann kommen die Sachen wieder zurück, und er hat sein Haus und sein Grundstück. K: Das ist doch klasse! (allgemeines Gelächter) S: Das thematisiert natürlich diese ganzen Probleme, die wir hier andeutungsweise ansprechen. Wozu ist das Museum eigentlich noch da? Vielleicht ist es nur eine Geldbeschaffung für bestimmte künstlerische Interventionen, die im Museum gar nicht mehr auftauchen. (Schweigen) |
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C: Ist der eigentliche Ort der Kunst heute der Kunstverein, das nicht-kommerzielle Museum? Denn wie sieht es mit den Galerien als Ausstellungsort aus? In einer Galerie, die berechtigterweise das Verkäufliche fordert, sieht man teilweise Sachen, die unnachvollziehbar schlecht sind. Interessante Ansätze verlieren sich bei der ästhetischen Verantwortung, die bei dem Eintritt in den Markt nicht übernommen wird. Muß man da nicht grundsätzlicher über Veränderungen nachdenken, will man diesen Ausverkauf verhindern ? S: Wenn mun sagt, daß das Ausstellen, das Museum, der Kunstverein sich in einer Umstrukturierung und Krise befindet, so gilt das für die Galerien sicher auch. Sehr viele dieser Galerien denken darüber nach, ob sie nicht viel eher als Produzentenbüros funktionieren müssen. Die Gesellschaft finanziert Kunst im wesentlichen durch den Vertrieb von Objekten. Wenn sich in der bürgerlichen Gesellschaft etwas auflöst, verändern sich unter Umständen auch ökonomische Strukturen, wird es vielleicht andere Methoden der Finanzierung von Kunst geben. Die zeichnen sich noch nicht ab und das ist ein Problem. (Schweigen) K: Man arbeitet als Kurator mit dem Künstler zusammen, steckt in einem Prozeß, und für den Betrachter ist das langweilig ... ist es nur noch eine Formalität, daß die Ausstellung überhaupt stattfindet? Hat sie überhaupt noch einen anderen Sinn, als den zu zeigen, daß Kunst nicht verstehbar, langweilig und teuer ist ? S: Helmut Draxler in München hat immer behauptet, er würde aus genau diesem Grund Ausstellungen machen. Selbst sein Nachfolger hat heute damit zu kämpfen; in den Kunstverein geht man nicht mehr, denn man weiß, daß man dort allein gelassen wurde. Da kam man hin um zu verstehen, daß man nichts versteht. Das ist wie die These: Beuys wollte die Leute nur verarschen. Keiner kann so leben, keiner kann so arbeiten. Uns steckt das 19. Jh. noch in den Knochen, wir liefern eben Produkte. Es ist immer ein Kompromiß, man macht Saalzettel, Vorträge, Führungen, man versucht immer wieder die Lebendigkeit durch Ersatzmittel zurückzubringen. K: Wären die Dinge nicht mit einem Buch oder Film viel besser zu ordnen und Zusammenhänge komplexer darzustellen? Daß man bei bestimmten Projekten von vornherein sagt, man macht einen Film, dokumentiert das und Schluß. S: Nein, das kann man nicht. Es gibt Dinge, die man gar nicht als Erfahrung weitergeben, nicht in Begriffe fassen, kann. Viele Dinge sind auch nicht planbar, sondern man schafft ein Ereignis. Die Arbeit an Ausstellungssituationen, die diese Potenz haben, ist das eigentlich Spannende, darüber nachzudenken, was potentiell passieren kann. Das soll das Buch und den Film nicht ausschließen, am idealsten wäre, wenn man wegkäme von der Fixierung auf ein Ereignis und genauso wie ein Künstler nicht nur eine Skulptur produziert, sondern auch Zeitung liest und ins Kino geht. Es ist eine Vernetzung von vielen Aktivitäten, und genauso könnte eine Ausstellung in viele Aktivitäten eingebettet sein. C: Es ging vorhin um historische Präzision: Projekte, in denen Künstler zusammenkommen, um sich zu unterhalten, sind ja nun auch keine Erfindung dieser Zeit. S: Nein. Surrealisten haben sich zu Horden zusammengetan, Konstruktivisten haben Haufen gebildet . "Bildet Haufen" - Werner Büttner. Klassisches Prinzip von Kunstproduktion überhaupt. C: Aber warum hat das heute wieder so eine Dringlichkeit. Mir kommt es vor, als sollte das nun die Lösung für alles sein. Der Silberstreif am Horizont des abgenutzten Systems. Aber es ist sooft gescheitert und doch immer gleich geblieben. Wie resistent ist das System gegenüber Handlungen? Sind es nicht immer nur Phasen der Rezession, innerhalb derer man so etwa zuläßt und finanziert, um sich kreativ frisch zu versorgen? S: Mit Lösung hat das nur insofern etwas zu tun, als daß es einen gewissen kreativen Krampf löst, der Künstlern an Akademien häufig antrainiert wird. Die Akademie vertritt diese Ideologie: Du kannst nur alleine was werden. Da kommen junge Leute auf die Akademie, einer ist ein Genie, den müssen wir rausfinden. Das ist im Grunde eine Killerphilosophie. Es gibt diese Künstlerleichen, die in eine Hochschule gegangen sind und nach der Grundklasse in selbstgewählte Isolationshaft geraten sind. Die kommen nach sechs Jahren aus der Hochschule, und es ist, als würden sie chinesisch reden. Wobei, wenn man genau hinguckt, sich auch schon an der Akademie diese Gruppen bilden; da sind zehn Leute, jeder kennt jeden, Klassenübergreifend, und schon die funktionieren anders. Wenn ich vorhin gesagt habe, 68 hat sich was verändert, dann war die Veränderung die, das Künstler erkannt haben: Es geht nicht mehr um Individualität, sondern meine Individualität ist auch als Künstler ein gesellschaftliches Produkt, ein Teil der gesellschaftlichen Struktur. Das ist keine weltbewegende Entdeckung, das ist sicherlich schon bei den Surrealisten, bei den Dadaisten die Operationsweise gewesen. Nur hat man uns immer erzählt, das es ganz anders ist, de facto war das immer so. Diese künstlerische Öffentlichkeit brauchte immer den einsamen Künstler, dieses Spektakulum, diesen Star, der alles alleine macht. Das ist ein Stück bürgerliche Ideologie, die dem einfach zugrunde liegt. K: Das läßt sich einfach besser verkaufen. Ich glaube, die Haufen sind nicht so wichtig, um wirklich neue Kunst zu machen, sondern um wahrgenommen zu werden, eine gewisse Macht zu erreichen, in den Betrieb reinzukommen, es geht nicht um Revolution, es geht um Teilhabe. Als Einzelkämpfer hast du keine Chance. S: Das ist nur ein Aspekt, der andere Aspekt ist aber, daß sie den Haufen immer im Kopf haben. Wenn sie sich für Enkaustik entscheiden, dann haben sie damit keine genuine Erfindung gemacht, sondern sie docken sich an etwas an, das eine Geschichte hat und was ihre Praxis unmittelbar - ohne das sie es überhaupt merken -mit programmiert. Die Menschheit wurde im 20. Jh. mehrmals tiefgreifend verletzt. Eine dieser Kränkungen war die Entdeckung der Psychoanalyse. Man hat sich immer vorgestellt: Ich weiß wenigstens, wer ich bin, auch wenn ich es nicht sagen kann, aber ich bin mit mir selber identisch. Und da kommt dieser Arzt in Wien und sagt: Täuschung , es gibt jemanden in dir, den kennst du überhaupt nicht, ihr seit immer zwei. Der Künstler war immer ein gesellschaftliches Ideal und nun sagen wir, war nix und arbeiten wie ein Architekt oder ein Filmproduzent ... Und was einen so verzweifelt macht ist, daß unserer Gesellschaft für diese Art künstlerischer Praxis überhaupt noch nicht vorbereitet ist. Ob es die Ausstellungsmacher, ob es die Hochschulen sind, nirgendwo ist Praxis so organisiert, daß diese alltägliche Einsicht in praktische Arbeitszusammenhänge umgemünzt wird. K: Liegt das nicht daran, daß in der Gesellschaft gar kein Interesse besteht? Dort immer noch die Sehnsucht nach dem Individuum existiert, daß ein Künstler zu verkörpern hat? S: Ja, klar. Deshalb ist ja auch die Frage, wie muß das Museum, wie muß die Hochschule verändert werden, eine eminent politische Arbeit. Unsere Gesellschaft will immer mehr diesen heiligen Ochsen , der auf dem Sockel steht und von allen bestaunt wird. K: Die Kader der Surrealisten und anderer sind immer ganz schnell gescheitert, weil es zwei Nasen gab, die Karriere gemacht haben, und die Leute die unbekannt geblieben sind. S: Nein, man muß es auch hier politisch sehen: Die Gesellschaft hat dort immer einen Spalt reingetrieben, indem sie gesagt hat: Du bist gut, du kriegst viel Kohle - du bist schlecht, weg. Deshalb betreiben wir eine eminent politische Arbeit, denn es geht darum, daß es in dieser Gesellschaft immer weniger Institutionen gibt, die kritische Standpunkte vertreten. Ein Museum ist sozusagen die Schaltzentrale ethischer Maßstäbe. Künstlerische Arbeit ist ein Monopol ethischen Handelns, und diese Gesellschaft will genau das Gegenteil. Und da sitzt das Spannungsfeld, das man nicht kaschieren darf, indem man 40.000 Besucher fordert. Man muß sagen: Dann haben wir eben überhaupt keine Besucher, macht das zu, aber dann wißt ihr wenigstens, warum es geschlossen wurde, dann ist es auch politisch manifest. Es ist sehr schwer, die gedanklichen Strukturen, die dahinter stehen, in die Öffentlichkeit zu bringen. Wenn hier diskutiert wird, ob der Kunstverein gut funktioniert, dann reden wir über Besucher und nicht über ethische Standards. Es gibt keine Avantgarde der Moderne, die nicht eine politische war. Und wie sehen unsere Hochschulen aus? Es geht immer um Formalien. Die Hochschulen verstehen sich eben nicht als gesellschaftspolitische Kraft. (Schweigen) S: ...und jetzt werden wir alle ganz melancholisch ... |
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