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ÜBER KÜNSTLERISCHEN ERFOLG
Auszüge aus dem Text  Eine Gabe, die fehlgeht - Über literarische Erfolglosigkeit von Wilhelm Genazino

In den frühen fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts empfahl William Faulkner allen seinen Kollegen die dauerhafte
Ausübung eines Zweitberufs. Am besten eigneten sich, so sagte Faulkner in einem Interview, handwerkliche Berufe, also etwa Schuhmacher, Schreiner oder Bäcker. Faulkner hatte die ökonomischen Krisen des Künstlerberufs im Sinn. Sollte eines Tages nicht mehr genug Geld da sein für die Miete und das tägliche Brot, dann wären die Künstler dank krisensicherer Nebenbeschäftigung dennoch ausserhalb des Risikos.
[...]
Aber was ist, wenn die Arbeit eines Künstlers eine unbedingte, absolute, innere und unteilbare Tätigkeit ist, weil das Werk die
Integrität des Ich ausdrücken muß, das heisst seine ästhetische Ehre.

Ehre ist ein Ausdruck für den Willen nach Ursprünglichkeit und
Reinheit. Reinheit ist ein unfassbarer und deswegen pathologisch dehnbarer Begriff. Reinheit verlangt stets nach der nächsthöheren, der noch reineren Reinheit. So wird Reinheit eine unendliche Grösse wie der Ruhm, von dem ebenfalls keine natürliche Grenze bekannt ist.

Weil viele Schriftsteller zu Musils Zeit diesen Ehrbegriff vom Schreiben nicht teilten, waren sie in Musils Augen kaum mehr als Schwadroneure und Zeilenschinder. Musil setzte Joseph Roth, Lion Feuchtwanger und Franz Werfel öffentlich herab. Thomas Mann nannte er den Schriftsteller mit den schärfsten Bügelfalten. Es gibt neben ihm keinen Autor, keinen Künstler, der sich unermüdlicher
abgegrenzt hätte, und es gibt keinen Autor, der dafür einen ähnlich hohen Selbstkostenpreis bezahlt hätte. Insofern dürfen wir sagen: Musils unverdienter Misserfolg ist nicht nur, aber auch ein Ergebnis seiner Weltverhöhnung und seines Hochmuts, kurz: des unzugänglichen, des subjektiven Faktors.

Es gibt einen Satz von Italo Svevo, den Musil begeistert unterschrieben hätte. Er lautet: «Kurzum, ausserhalb der Feder gibt es kein Heil.» (Allgemeiner: außerhalb der künstlerischen Arbeit gibt es kein Heil... ). Eine krassere Überwertigkeit des Schreibens, der künstlerischen Arbeit, lässt sich kaum phantasieren. Im Alter von 37 Jahren, 1892, veröffentlichte Svevo in einem unbekannten Verlag seiner Heimatstadt Triest seinen ersten Roman, «Una vita», «Ein Leben». Es ist der Entwicklungsroman eines Angestellten, der Schriftsteller werden will, ein Meisterwerk, das von der italienischen Kritik ignoriert wird, einige lokale Reaktionen einmal ausgenommen. Sechs Jahre später, 1898, erschien Svevos zweiter Roman, «Senilità» (deutsch: «Ein Mann wird älter»). Noch einmal übersah die italienische Kritik den Autor und sein neues Buch. Svevo war persönlich gekränkt und zog sich für fünfundzwanzig Jahre aus dem literarischen Leben zurück. In seinem Tagebuch lesen wir dazu manchen bitteren Satz, zum Beispiel diesen: «Ich habe diese lächerliche und schädliche Sache, die man Literatur nennt, aus meinem Leben ausgemerzt.»

Von heute aus können wir sagen: Schuld an Svevos Verstummen ist der kulturelle Prozess Italiens, der Svevo nicht in sich aufnahm. Nur müssen wir sofort hinzufügen:
Es gibt keinen fassbaren, keinen organisierten literarisch-kulturellen Prozess, weder in Italien noch sonstwo. Die Kultur als Ganzes hat kein Subjekt und also auch keine Vernunft; sie schreitet weder zeitlich noch ästhetisch noch sozial sinnvoll voran; es ist nicht einmal ausgemacht, ob sie überhaupt voranschreitet oder ob sie nicht halb- oder ganz blind durch die Geschichte taumelt. Die molluskenartig sich aufblähende und sich wieder ausleerende Kultur hat kein Zentrum, und das heisst: Es ereignen sich in ihrem Namen immerzu Einschlüsse und Ausschlüsse, Verzögerungen und Versagungen, für die sich niemand verantwortlich fühlen muss. Anders gesagt: Es gibt in keiner Kultur ein Recht auf Beifall, nicht einmal ein Recht auf Rezeption.
[...]
Die
Crux ist: Der Künstler braucht die Anerkennung der anderen, ohne diese anderen selbst anerkennen zu können. Nach Hegel ist eine solche Einseitigkeit zum Scheitern beziehungsweise zum Unglück mit sich selbst verurteilt. Hegel hat Anerkennung reziprok konstruiert: «Sie anerkennen sich», schreibt Hegel, «als gegenseitig sich anerkennend.»

Wir sehen in diesem Satz den doppelten Boden der sittlichen Geste, den Hegel uns zeigen will. Personen anerkennen sich nicht nur wechselseitig, sie können sich auch selbst nur anerkennen, wenn sie von aussen, von anderen Menschen, zuvor schon anerkannt sind. Die meisten Künstler sind von derart komfortablen Anerkennungsverhältnissen himmelweit entfernt. Der einzelne Künstler kann diejenigen, die ihn und sein Werk anerkennen könnten, nicht anonym und vorab anerkennen. Die ihn Anerkennenden brauchen seine Anerkennung nicht einmal. Wenn aber die Anerkennung ausbleibt, dann muss sich der Künstler (siehe Musil, siehe Svevo) die
Anerkennung selber machen; das ist eine ungesunde Tätigkeit, die viele Künstler mit dem Preis der individuellen Verschrobenheit bezahlen.
[...]

nach einem Text, der am 9.11.2002 in der Neuen Züricher Zeitung erschienen und der wiederum eine gekürzte Fassung des Vortrags, den Wilhelm Genazino an der diesjährigen (2002) Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gehalten hat, ist.
Der Vortrag erscheint ungekürzt im nächsten Jahrbuch der Akademie.

Schriftsteller wurde durch Künstler ersetzt, um die Textauszüge allgemeiner zu fassen...
 


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