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RUFEN SIE DOCH MAL AN: ICH MÖCHTE ZEICHNEN!
von Lothar Romain

Allein an der Schreibmaschine, angesichts der unbeschriebenen Blätter, möchte man schnell noch einmal telefonieren - nicht um sich der paar Fakten zu vergewissern, die man längst kennt, sondern um jetzt unmittelbar etwas von den Anstößen zu erfahren, die das Telefon gibt, aber auch vom Mangel, der sich auftut.

Wer immer am Telefon Papier und Bleistift zur Hand hat, wird sie nicht ruhig liegen lassen, wenn man sich in ein längeres Gespräch einläßt. Man beginnt zu kritzeln, vielfach automatisch: weil der Sprache das Bild fehlt, weil Körper und Hand danach verlangen, sich am Ausdruck zu beteiligen, weil man sich ablenken will, weil man sich unbewußt selbst Mitteilungen schreibt über Ebenen des Gesprächs, die jedenfalls nicht hörbar sind.

Wer sich auf eine Beschreibung und möglicherweise eine Theorie des Zeichnens beim Telefonieren einläßt, wird viele Gründe dafür finden. Und es geht nicht nur um die Mangelerscheinung eines aus unserem Leben nicht mehr wegdenkbaren Kommunikationssystems, sondern auch um seine Möglichkeiten.

Eggenschwiler hat davon in seinem Vorwort gesprochen: Distanz halten können wie auch Nähe suchen, persönlichen Ehrgeiz befriedigen oder Rat erfahren usw. Die Liste läßt sich beliebig erweitern und man wird feststellen, daß die Nutzungsmöglichkeiten dieses Kommunikationssystems ebenso widersprüchlich sind wie unsere Kommunikationsformen und -inhalte.

Das Kritzeln, das zur Zeichnung sich mausern mag, mag dabei wesentlich kompensatorische Funktionen erfüllen; es ist gleichwohl nicht nur das Auffüllen von Leere, sondern positiver: das langsame Erwachen von Kreativität beim Miteinander-Reden, das Bedürfnis nach dem Verfertigen von Bildern, während die Gedanken als eine auch tonal sehr eindimensionale Sprache über Draht vermittelt werden.

Das sind - über alle individuellen Beweggründe hinaus - Gemeinsamkeiten von Telefonzeichnungen, mögen sie vom künstlerischen Potential und von ihrer Aussage her auch durch Abgründe getrennt sein. Telefonzeichnungen können ein Tummelplatz für Soziologen und Psychologen sein, doch davon soll diese Ausstellung nicht handeln.

Es geht nicht um die rein private Notiz, die nach Beendigung des Gesprächs am besten im Papierkorb landet, weil ihr Anspruch nicht über die Entstehenszeit hinauszureichen vermag, weil sie an Inhalt und Länge des Telefongesprächs gebunden war und ohne die Grundlage der sprachlichen Kommunikation nichts aussagt; es geht vielmehr um einen kreativen Akt der Verselbständigung - das Gespräch als Sprachhandlung, die zu einer zweiten, die erste überdauernden Aktivität, nämlich der des Zeichnens, animiert. Telefonieren ist da begriffen als ein (beinahe unentbehrlicher) Bestandteil unseres heutigen Lebens, der sich - wie andere auch - in der künstlerischen Arbeit niederschlägt: Telefonstücke in Form von Zeichnung.

Wer sich mit den drei verschiedenen Telefonbüchern von Eggenschwiler, Hüppi und Roth befaßt, wird schnell feststellen, welche ausgeprägten Individualitäten da zu Werke gegangen sind. Selbst wenn die Zeichnungen in einem Band zusammengefaßt und gemischt worden wären, hätte man keine Schwierigkeit, sie auseinanderzuhalten. Darin unterscheidet sich ihr Anspruch von der anekdotischen Notiz, daß aus dem flüchtigen Niederschreiben ein konzentriertes Zeichnen beginnt.

Zeichnen wie Netze auswerfen, so Alfonso Hüppi, dann komme irgendwann einmal der Punkt, an dem der Fisch gefangen werde. In diesem Augenblick könne er das Telefonat sogar für eine Weile fast ganz vergessen, beunruhigend für den Partner, der nicht sieht und ohne Echo redet. Doch die Zeichnung hat sich verselbständigt, lebt als künstlerische Einheit weiter, wenn die Zeiteinheiten schon längst nicht mehr gezählt werden.

Hüppi - und das unterscheidet sein Telefonzeichnen z. B. von dem Eggenschwilers - fängt seine Fische nur beim Telefonieren. Es gibt kein Nachräsonnieren, keine Fortsetzung des Zeichnens nach dem Gespräch. Es scheint, als sei die eine Aktivität notwendiger Dauerauslöser für die andere.

Telefonzeichnung ist nicht gleich Telefonzeichnung: sie hat zahllose Facetten. Für Eggenschwiler reicht das Zeichnen oft über die Dauer des Telefonats hinaus, was seinen Arbeiten im positiven Sinne oft einen prosaischen Charakter verleiht. Er erzählt zeichnend weiter und erstellt so ein Skizzenbuch, das trotz seiner Labyrinthhaftigkeit im Einzelnen schließlich doch wie ein im Ganzen nur mäßig verwilderter Garten erscheint. Da sind Bilder niedergeschrieben nicht als Metaphem von etwas, sondern als Erzählungen ihrer selbst, aber eben häufig nicht nur Entwurf, sondern ausgeschrieben, zu Ende gebracht, Einfall und Überlegung auf einen Strich oder in eine Struktur von ebenso skurillen wie feinsinnigen Formen gebracht.

Hüppis Auswahl aus vielen hunderten Telefonzeichnungen zeigt dagegen, bedingt durch die andere Methode des Zeichnens, eine andere Art von Spontaneität. Es werden nicht- im übertragenen Sinne - Geschichten zu Ende gezeichnet, sondern Telefongespräche in eine dem Partner verborgenen Weise verselbständigt, quasi aus der Leitung und damit aus dem Einflußbereich des Gegenüber genommen und in einen Hüppi verwandelt. Das ist nicht ein unsozialer Akt, weil da nicht gestohlen oder etwas gegen einen anderen ohne dessen Wissen verwendet wird, sondern eine Art permanenter zeichnerischer Selbstdarstellung, die offenbar die Fähigkeit zu anderen Kommunikationsformen und die Möglichkeit, sich auf andere einzulassen, immer wieder neu herstellt.

Diese Zeichnungen von AlLonso Hüppi beziehen sich selten unmittelbar auf das Gespräch - und wenn überhaupt einmal als Anspielung, dann eher auf den Maler selbst als auf sein Gegenüber Da kann es dann vorkommen, das er ganz unwillkürlich große Ohren zeichnet, weil eine Verbindung schlecht ist, doch nicht als Karikatur, sondern als Ausgangspunkt für ein Spiel mit Ohrenformen.

Im Gegensatz z. B. zu Dieter Roth, der das Telefonieren selbst in seinen Zeichnungen thematisiert, erhalten Hüppis Zeichnungen vom Telefon1eren nur ihre Impulse, die sehr selten noch nachträglich auslotbar oder gar inhaltlich konkretisierbar sind. Er löst sich zeichnerisch immer wieder aus dem Kommunikationszusammenhang, um seine Bilder dazwischen in die Welt zu setzen.

Und so erscheinen jeweils als Situationen von Formen und Strichen verselbständigt, in seinen Ze1chnungen alle Formen und Strukturen seiner gesamten künstlerischen Arbeit wieder: das Neben- und Ineinander von organischen Formen bis hin zu bizarren erotischen Gebilden von und mit geometrischen Mustern, die manchmal wie Verpackungen erscheinen, dazu immer wieder der Ausbruch ins Handschriftliche, das eine wesentliche Komponente seines Werks ausmacht. Sie alle können Verbindungen miteinander eingehen oder in einer Folge von eigenständigen Variationen nebeneinander bestehen: eine ganz und gar künstliche und doch sehr gegenständliche Welt, ausgestattet mit einer ihr eigenen Poetik, die sie geheimnisvoll und luzide zugleich macht, nie aber zu Illustrationen von Momentaufnahmen verkommen läßt.

Schließlich Dieter Roth, ebenso entschieden wie seine beiden Malerfreunde und dennoch unverwechselbar nicht nur in der eigenen Sprache, sondern auch durch sein Thema. Er gibt für seine Arbeiten einen Zeitraum an - zwei Jahre -, in denen er sich mit dem Thema beschäftigt hat. Es war ein abgeschlossener Versuch, in dem ihn nicht nur das Nebenher-Zeichnen interessierte, sondern die Zeichnung im Zusammenhang mit dem Telefonieren.

Telefonieren ist da nicht nur Anlaß, sondern vor allem auch immer wieder Inhalt. Notizen, aber auch kleine Wortspiele, die sich im Verlaufe des Gesprächs ergeben haben, gehören ebenso dazu wie die Zeichnungen selbst, die ebenso aphoristisch wie ausführlich erzählend im Sinne der Zeichnungssprache sein können: Ausschnitt aus einem Künstlerleben, der als Buch gelesen eine selbständige Einheit ergibt und Erfahrungen mitteilt, ohne in allen einzelnen Blättern auf die Abgeschlossenheit der Niederschriften zu achten - ein gezeichnetes Tagebuch auch, allerdings - und darin den anderen verwandt - nicht geplant als ein kritisch-belehrender Reflex auf menschliche Verhaltens- und Kommunikationsformen, sondern als Beobachtungen an und mit sich selbst, die mit Sprache nicht allein zu beschreiben sind und nach einem bildlichen Ausdruck, nach sinnlicher Wirklichkeit und Genauigkeit verlangen.

Der Maler, drei verschiedene Erfahrungen, drei verschiedene Telefonbücher. Und doch sind Ausstellung wie Buch nicht nur eine zufällige Zusammenstellung verschiedener Temperamente, sondern absichtlich und begründbar; denn über die ausgeprägten Individualitäten in den Zeichensprachen hinaus gibt es Gemeinsamkeiten, die hervorgehoben werden müssen.

Da ist zunächst der Mut, aber auch die Bescheidung auf diese Art des Zeichnens. Telefonzeichnungen, das machen die inhaltlichen und formalen Unterschiede in diesen Arbeiten deutlich, ist keine Gattung mit eigenen Gesetzen. Und doch liegt ihnen eine gemeinsame Intention zugrunde, von denen Eggenschwiler und Roth in ihren Vorworten auch sprechen, nämlich der Nebenher-Charakter dieser Arbeiten, die ihnen das Gewollte, das anspruchsvoll Repräsentative mancher anderer Zeichenversuche nimmt und in dem unschuldigen, weil zunächst wenig zielgerichteten Tun Freiheiten aufdecken kann, die in der Anstrengung schon des ersten Gedankens sonst oft verloren gehen.

Schon früh habe ich ein „faible" für solche Zeichnungen entwickelt, schreibt Eggenschwiler, und ich habe sie lange vor dem öffentlichen Auftreten gesammelt und geliebt. Es sind aber gar unscheinbare, ungekämmte Kinder und nicht herausgeputzt im Sonntagsgewändli daherkommend, daß es anmaßend und deplaziert scheint sie herauszustellen. Das mag es vielleicht sein, so sind sie auch nicht steif Herrschaftuocheinmal! Ein latenter Horror in mir: jetzt mache ich eine künstlerisch wertvolle Zeichneing auf interessantes kostbares Papier, die dann den Rang einer wertvollen Zeichnung hat, ist eine übermäßige Barriere, die mich hindert die Bedürfnisse an künstlerisch repräsentativen, wertbeständigen Zeichnungen zu erfüllen.

Dem läßt sich an Einsicht und Weitsicht wenig hinzufügen. Die Bescheidung verschafft in Wahrheit einen freien Blick auf Möglichkeiten. Die Bindung an den Kommunikationsimpuls als Auslöser macht den Anfang, den Eingang leichter, ohne daß nicht am Ende Anstrengungen zur Vollendung stünden.

Es ist nicht zufällig, daß gerade drei Schweizer Künstler sich mit einer solchen Art von Zeichnung beschäftigen, die ohne anspruchsvolle Ideologie oder zumindest Trendanspruch auftritt, die im Gegenteil sich gegen die Überstülpung von allzu viel Bedeutungshaftem wehrt, aber daraus nicht selbst schon wieder eine Parole der Absage herausliest.

So sehr in der heutigen Kunstszene nationale Eigenschaften von internationaler Kommunikation überdeckt erscheinen, so unverkennbar gibt es immer wieder nationale oder genauer: regionale Eigenschaften, nicht unbedingt im formalen zu fassen als vielmehr in typischen Verhaltens- und Bewußtseinsweisen. Und wenn über alle Skurrilität, bizarre Verquertheit und spielerische Ironie hinaus die heutigen Schweizer Künstler eines auszeichnet, dann ihre Bescheidung in Programmfragen, ihre Skepsis gegenüber Trends, ihre Vorliebe für Ungebundenheit auch und gerade von Ideologien, aber auch von Betriebsbedeutungen als da sind: repräsentative Anlässe, Materialien und Formen. Alles das findet sich als Gemeinsamkeit auch in diesen sehr unterschiedlichen Telefonzeichnungen wieder. Es vereinfacht nicht nur den Zugang zu ihnen, sondern auch den Umgang damit. Sie sind nicht weniger komplex, wohl aber viel weniger eitel als manche andere Kunst heute.


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