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Kunst als Giveaway
Stichworte zu einer Ästhetik verschenkter Kunstwerke


Von Johannes Stahl

Kamelle
Eigentum verpflichtet gegenüber der Allgemeinheit. Dieser Grundsatz findet sich in der einen oder anderen Form bei zahlreichen Rechtsnormen und Gesetzen wieder. Die eigentümliche Erwähnung eines letztlich moralischen Impulses im Zusammenhang juristischer Definitionen ist jedoch nur auf den allerersten Blick verblüffend. Zum einen ermöglicht die Erwähnung moralischer Grundsätze überhaupt erst die Glaubwürdigkeit präziserer Regeln. Keiner würde ein Gesetz ernst nehmen, das nicht Moral umfassend begreift, also auch mitsamt den "weicheren" Stellen. Die mitunter geradezu reaktionären Züge des Karnevals wären wahrscheinlich nicht möglich, wenn nicht ständig Freiräume versprochen und tatsächlich eingeräumt würden. Schon mittelalterliche Karnevalsriten regeln und regulieren das Verhältnis vom Geben-müssen zur Eigentumsgarantie - und zeigen sich besorgt, dass die auf Zeit eingeräumte Freiheit sich zu grundsätzlichen politischen Unruhen auswächst. Aber: am Aschermittwoch ist alles vorbei (so singt man). Genauso wie am Vortag die Küsschen und die Kammellen erhält der Ex-Karnevalist nach gutem katholischen Brauch sein Aschenkreuz (gratis übrigens) und fastet bis Ostern - freiwillig und weil es Recht und Sitte schon immer so gekannt haben.
Eine derartige Auszeichnung des Kunstkonsumenten mit solchen Zeichen ist im Zeitalter des "Brandmarking" längst gängige Übung. Setzten die Generationen der Fluxus-Künstler in den sechziger Jahren noch quasi "verwertbare" Zugehörigkeitszeichen wie die Beuysschen Plasitktüten ein, so trennen Strategien wie Simone Westerwinters Angebot eines kostenlosen Tatoos bewusst nicht mehr zwischen künstlerischem Produkt und dem Beschenkten: beschenkt, trägt man die Haut zu Markte. Dieser Markt siedelt zwischen der Information über Kunst und dem persönlichen Prestige des Besitzers und bedient beide Seiten.

Wo es etwas umsonst gibt, kommen Menschen in der Regel auch gerne hin: Das "Ausgeben" wertvoller Süßwaren und Rauschgetränke ist in der Kunstszene nicht nur durch Eröffnungsdrinks geläufig. Schon die in geradezu ruinöser Anzahl verschickten Einladungen signalisieren eine Art übermütigen Freiraum, der in den tatsächlichen Kosten-Nutzen-Erwägungen keine Entsprechung findet. Vielmehr geht es um die Zeichensetzung für etwas kulturell Besonderes und gesellschaftlich Relevantes: die "Freiheit der Kunst", wiederum ein eher moralischer Wurfanker ins Gesetzbuch. Anders gesagt: weil Kunst (sowie die damit Befassten) gesellschaftlich privilegiert sind, sollten sie diesen Freiraum auch öffentlich dokumentieren. Wenn er nicht behauptet wird, läuft er Gefahr, als nicht mehr relevant abgeschafft zu werden. Freiräume verpflichten gegenüber der Allgemeinheit - und sei es dazu, diese Freiräume systemstabilisierend öffentlich zu dokumentieren.

Die legendäre Eröffnungsaktion von Yves Klein am 15. April 1958*,
der zur Eröffnung seiner Ausstellung "Le Vide" (Die Leere) tief blaue Cocktails reichte, deren Farbe noch tagelang beim Wasserlassen präsent war, nutzte solche kulturellen Konstanten in strategisch weitreichender Weise. Zunächst vermerkte ein der Einladung beigefügter Zettel, dass diese Einladungskarte einen Wert von 1500 alten Franc darstellte, die bei Nicht-Vorliegen der Einladungskarte zu entrichten seien. Das seinerzeit keineswegs einfach vermittelbare Kunstkonzept einer leeren, weißen Galerie durchdrang neben dem offensichtlichen Eindruck, den der weißer Raum zu machen imstande war, gewissermaßen den Körper seiner Konsumenten. Rezeption war eine in hohem Maß materielle Angelegenheit, und sie blieb nachhaltig - einige Tage wenigstens.

Klein musste zur hoch freqentierten Eröffnung seiner Ausstellung zwei Mitglieder der Nationalgarde und zusätzlich privat engagierte Judoka aufbieten, um die Publikumsströme im Zaum zu halten, denn der Erfolg seiner Eröffnung war auch Ergebnis einer sehr zielgerichtet vorbereiteten Vermittlung in eigener Sache. Konzeptionen wie die Büffets von Daniel Spoerri oder das Orgien-Mysterien-Theater Hermann Nitschs vertreten in der Struktur eine durchaus eine ähnliche Konzeption: Attraktion durch Exklusivität.

Dagegen beziehen jüngere Positionen wie die von Sonja Alhäuser oder Thea Djordjadze durchaus eine gegensätzliche Position. Zwar geht ihre Kunst ebenfalls den Weg über Kopf und Magen, die Exklusivität des teilnehmenden Zirkels oder die Offenheit der Veranstaltung sind aber in jedem Fall Variablen; mitunter ist das Publikum, das an der Speisung teilnehmen kann, durchaus allgemein begriffen. Ihre Konzeption sieht den Zusammenhang eines Prozesses, in dem die Versorgung ebenso wie die kultische Bestimmtheit des Speisens einen Eckpunkt bilden. Darüber hinaus ist bei Sonja Alhäuser der Entstehungs- und Verarbeitungsprozess der Speisen entscheidend, sodass die Beschäftigung damit wirklich umfassend ist. Bei beiden KünstlerInnen ist die Büffetsituation dabei keineswegs immer eindeutig offen für jeden. Vielmehr spielt das Ausloten der jeweiligen Spielregeln eine entscheidende Rolle: darf man (und wenn ja, wann) von diesen Speisen überhaupt essen, um zu einem Erkenntnisgewinn zu gelangen?

Stich, Sidra: Yves Klein. Ostfildern-Ruit 1994, S. 133 ff.
Manifestationen und Manifeste

Eine theoretische Trockenübung ist dabei selten die Sache bildender Kunst. Materialisiert haben sich grundsätzliche Überlegungen aller-
dings regelmäßig in Manifesten und manifestartigen Emissionen.*
Ein Manifest ist immer ein Positionspapier, das auf eine der Zeitsituation geschuldete Notwendigkeit reagiert. Es stellt Thesen und Forderungen auf, die sich meist über die enge Teilöffentlichkeit der bildenden Kunst hinaus an weite gesellschaftliche Kreise richten. Der meist allgemein akzeptierte Rang künstlerischer Äusserungen, die im Manifest behauptete Dringlichkeit sowie die auffallend häufige gestalterische Kargheit machen das Manifest zu einem künstlerischen Mittel besonderer Art. Zum Medium hinzu tritt die Tatsache, dass es meist gratis verteilt wird, quasi als künstlerische Situations-Botschaft pur. Den materiellen Wert taxiert man selten, häufig gibt der Empfänger sogar das Manifest seiner Bestimmung gemäß weiter - anstatt es daheim zu horten und einzurahmen. Dieser Umstand resultiert vor allem aus dem Medium selbst: es bietet selten genug "bildende Kunst", sondern Reflexion derselben. Das Manifest will gelesen, verstanden und durchdacht werden, und deshalb kommt es als Papier zum Mitnehmen auch mit dem Betrachter zusammen auf den Heimweg. Häufig kommt der intendierte Inhalt auch nur annähernd in der ursprünglichen Form an. Manifeste sammelt kaum jemand. Erst in gemessenem zeitlichen Abstand erinnert sich die kunsthistorische Literatur der ehedem viel diskutierten theoretischen Fragestellung. Der Weg führt denjenigen, der diese Manifeste sehen möchte, dann jedoch immer noch eher in Archive als in Kunstsammlungen.

Die Mitnahme eines Manifests bedeutet sowohl für den Künstler wie auch für den Mitnehmenden die Teilhabe an der Fragestellung. Anders als beim Kauf eines Kunstwerks ist diese Teilhabe geregelt. Den Mitnehmenden und den Künstler interessiert mit hoher Wahrscheinlichkeit ein verbal erläuterbarer Sinn. Beide nehmen daher teil an einer Art Vereinbarung, die von außen gesehen wie eine Verschwörung wirken kann. In totalitären Systemen gilt schon das Lesen eines feindlichen Flugblatts als Landesverrat, in liberaleren Systemen rechnet man darauf, dass die normative Kraft des Alltags die außergewöhnlichen Ideen mehrheitlich ignorieren wird. Beides könnte ein Erklärungsmodell dafür bilden, weshalb Manifeste eher konsumiert als konserviert werden: ob man sich bestätigt fühlt in der eigenen Sicht, nicht recht weiß, was das Manifest soll oder es rundweg ablehnt: jedesmal gibt es gute Gründe zur Nichtbeachtung, sogar zur Vernichtung dieses Werks, das immerhin von Künstler/innen konzipiert, gemacht und nicht selten sogar verteilt wurde. Letztlich ist gerade die
Schrenk, Klaus (Hg.): Aufbrüche, Manifeste, Manifestationen. Positionen in der Kunst zu Beginn der 60er Jahre in Berlin, Düsseldorf und München. Köln 1984.
gescheiterte Verteilung von Jean Tinguelys Manifest "Für Statik".*
ein sprechendes Beispiel für die Distributionsprobleme des Manifests. Der Abwurf aus dem Flugzeug war eine zeittypische und originelle Methode. Im Ansatz zielte Tinguely darauf, eben nicht die Kunstszene, sondern die normale Bevölkerung zu erreichen. Falsche Winde ließen die Papierstücke jedoch auf landwirtschaftliche Nutzflächen niedergehen. Die Saat ging nicht auf; die Gesellschaft blieb statisch.


Hulten, Pontus: Jean Tinguely. A magic stronger than death. Ausstellungskatalog. Palazzo Grassi, Venedig 1987, S. 55 f.
Pröbchen

Die Kultur der Konsumprodukte hat zahlreiche eigene Regeln hervorgebracht. Zwar regeln Kaufverträge Geben und Nehmen, aber die Riten um diesen Grundakt merkantiler Tätigkeiten sind durch Konventionen bestimmt. Seit alters her existiert das Pröbchen, eine kostenlose Möglichkeit, das Angebotene ohne Kaufverpflichtung zu testen. Da ein anwesender Verkäufer den moralischen Druck erhöht, sich wirklich mit diesem Angebot auseinander zu setzen und dieser Druck nicht immer verkaufsfördernd ist, hat man konsequenterweise auch die Mitnehmprobe entwickelt, die zu späterer Gelegenheit zur Kaufentscheidung führt. Solche Artikel erfordern eine eingehende Probe, möglicherweise im privaten Rahmen. Kosmetika, Lebensmittel (wie beispielsweise Tütensuppen), die eine externe Zubereitung erfordern oder ähnliches bietet sich dann mitunter auch besser außerhalb des unmittelbaren Angebots an. Letztlich gelten diese Pröbchen auch für kulturelle Produkte, die als Musik das heimische Abspielgerät oder den Lesesessel benötigen. Einen eher zwanghaften Konsum bieten Filmtrailor, die als eine eigene Gattung interessante Elemente des beworbenen Spielfilms im Miniformat konzentrieren. Sie sind Warenprobe in einer Verkaufssituation, aber nach dem Kauf eines anderen Produkts. In diese Funktionstypologie des Pröbchens gehören in künstlerischer Hinsicht zahlreiche Zeitschriftenbeilagen, die neue Namen und neue Arbeiten propagieren.

Christin Lahr hat die Elemente von kaufmännischen Regeln einerseits und Warenprobe andererseits in eigentümlicher Weise zusammen gebracht. Ein Vertragsentwurf führt dem potentiellen Käufer ihrer Edition des "nichts" deutlich vor Augen, was er erwerben wird: eine Edition ohne materiellen Gegenstand, die zudem einer Reihe Sonderregelungen unterworfen ist, weil sie Bestandteil einer künstlerischen Konzeption ist. Trotzdem funktioniert der Vertrag wie eine Warenprobe im traditionellen Sinne: man kann in Ruhe testen, auf was man sich einlässt, ohne tatsächlich schon fest zum Kunst-Kunden zu werden.


Nehmet hin und esset

Menschen müssen essen. In der Regel ernähren sie sich nicht selbst, sondern werden versorgt. Selbst wenn sie finanziell dafür aufkommen, erwächst aus dem Ernährt-werden ein besonderes Vertrauensverhältnis. So kommt es, dass die Verteilung von Speisen durch Sitte und Gewohnheit streng geregelt ist. Der Vater (als Familienoberhaupt oder derjenige, der das Geld ins Haus bringt) schneidet das Fleisch auf. Keiner isst, bevor nicht die Hausfrau (oder der mitessende Koch) den Löffel zum Mund geführt hat. In ähnliche kultisch bestimmte Bereiche weist die Situation des christlichen Abendmahls, überhöht sie jedoch ins Transzendente. Die Einsetzungsworte des um sein bevorstehendes Ende wissenden Christus beim Brot-Brechen lauten: "Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis". Während der kirchlichen Zeremonie werden diese Worte zitiert; mit der Weggabe des geheiligten Brots beim kirchlichen Abendmahl entsteht eine Speisung und gleichzeitig eine Memorialhandlung. Der hohe Rang dieser Abendmahlszeremonie als Sakrament, als heilige Handlung, konstituiert weltweit sinnfällig die christliche Gemeinde.
Säkularisierte Formen dieser verpflichtenden Zeremonien tauchen nicht erst in der Kunst auf, sondern sind aus Ernte-, aber auch Jagdriten geläufig. Die quasi bekenntnishafte Verpflichtung, die jemand eingeht, wenn er diese Gabe annimmt, ist als Element in zahlreichen Variationen durchgespielt worden, gerade im christlichen Glauben. Kinder werden den Eltern geschenkt und müssen in der Folge gefüttert und unterhalten werden. Gaben oder Begabungen führen zu einer moralischen Verpflichtung, und letztlich funktionieren auch Weihnachtsgeschenke recht häufig eher auf Gegenseitigkeit.

Dass mit der Weggabe von materiellen oder ideellen Leistungen auch eine Gegenleistung ähnlicher Art erwartet werden kann, gehört auch
bei unkommerziellem Denken dazu. Im Bereich des Geschäfts verblüfft die Gabe ohne Gegengabe zwar zunächst, kann sich aber oft auf diese moralische Verpflichtung verlassen. Eigentümlich ging Yves Kleins
Verkauf einer "Zone immaterielle de Sensibilité"* mit diesem Szenario um. Der Käufer seiner Aktion bezahlte mit Gold, und hatte die Möglichkeit, den von Klein gestalteten und signierten Zahlungsbeleg
zu behalten. Wenn der Käufer die Aktion konsequent weiterverfolgen wollte, verbrannte Klein in einer stillen, feierlichen Zeremonie diesen Zahlungsbeleg und streute gemeinsam mit dem Kunden und unter würdigen Zeugen die Asche in die Seine, während Klein selbst die Häl-
fte des erwirtschafteten Goldes beisteuerte. Für den höheren Grad der "Zone immaterielle de Sensibilité" opferte der Kunde so seinen einzi-
gen materiellen Beleg, während Klein auf die Hälfte seiner Einkünfte verzichtete. Diese kultische Aktion spielt nicht nur auf Wegabe-Rituale des christlichen Abendmahls an, sie zeichnet ihrerseits Züge des indianischen Potlatsch nach, eines Prestigeduells, das aus der Vernichtung wertvoller eigener Güter bestand und letztlich bis zum
Ruin der Beteiligten führen konnte. Nach entsprechenden vor allem
Stich, Sidra: Yves Klein. Ostfildern-Ruit 1994, S. 133 ff; S. 155ff.
französischen Publikationen* könnte Klein dieses Ritual geläufig gewesen sein.


Giveaway als Prinzip

Zahlreiche der vorangegangenen Überlegungen beinhalten eine
Setzung: Neben dem strategischen oder kommerziellen Sinn, den das Weggeben von künstlerischen Dingen oder Leistungen haben kann, existieren nicht präzis hinterfragbare, aber gleichwohl vorhandene Gründe für Giveaways, die sich aus moralischen, rituellen oder habituellen Quellen nähren. Eine fast wie eine Versuchsreihe angelegte Serie von Happenings des amerikanischen Künstlers Allan Kaprow bringt dieses Feld von Gründen näher. In seinem grundlegenden Essay
Mauss, Marcel: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt/M. 1990 (zuerst 1925).
"Pinpointing Happenings"* unterscheidet er sechs verschiedene Arten von künstlerischen Happenings – allerdings nach einer lustvoll amüsierten Rundsicht über die verbreitete Verwendung des Begriffs
und dem Geständnis, dass er erfolglos versucht hatte, diesen Termi-
nus wieder loszuwerden. Nachdem er vier auf theatralen Situationen fußende und eine "völlig mentale" Art unterschieden hat, geht er auf
die sechste Art als die risikoreichste länger ein. "Dieser Aktivität ist risikoreich, weil sie leicht die Klarheit ihrer paradoxen Stellung als Kunst-Leben oder Lebens-Kunst verliert." Das Verschenken von Objekten durch den Künstler und das Mitnehmen durch den – möglicherweise sich seiner Situation gar nicht bewussten - Teilnehmer thematisiert die Reihe "Six ordinary happenings", die er wenig später
Allan Kaprow: Pinpointing happenings. In: Essays on the blurring of Art and Life. Ed. By Jeff Kelley. London 1993, S. 84 (Orig. 1967)
inszeniert.* Wie in anderen Happenings auch geht es um eine Hinterlassenschaft des Künstlers in einer öffentlichen Situation. "Charity" sah vor, in einem Second-Hand-Laden Wäsche zu kaufen, diese über Nacht im Waschsalon zu waschen um sie am nächsten Tag diesem Laden wieder zu schenken. Was auch nach längerer Zeit noch wie eine karitative Großtat wirkt, spielt jedoch gleichzeitig mit den Ebenen des Großmuts. Die Situationsanalyse zeigt, dass gebrauchte Wäsche eben oft ungewaschen wiederverkauft wird. Über die Analyse hinaus schafft der Kauf und die nächtliche Tat (unter Aufbietung materieller Mittel) Abhilfe und die anschließende Schenkung (als materieller Verzicht) stellt die Ausgangssitutation verbessert wieder her. Letztlich wirkt die verdreifachte Wertschöpfung überhöhend: zu schön, um wahr zu sein, dass jemand soviel geben kann.

"Giveaway" setzt Stapel von Porzellantellern aus und dokumentiert Anfangs- und Endzustand fotografisch. Ähnlich wie in zeitgleichen soziologischen Experimenten wird anonym bleibendes öffentliches Tun gemessen. Anders jedoch als bei den zielorientierten Versuchsanordnungen der Wissenschaftler bleibt Kaprows Happening ergebnisoffen: das fotografische Dokument bildet schon - ähnlich wie in einigen Aktionen Kaprows - das einzige, was neben den je persönlichen Erinnerungen bleibt. Und den anonymen Teilnehmern bleibt der Teller: als Erinnerung als ein nicht nötigenfalls als künstlerisch erkanntes Ereignis und vor allem als nützliches Hausutensil. Aus dieser Betrachter-Perspektive ist "Giveaway" alles andere als eine künstlerische Leistung: da brauchte eben irgend jemand seine vielen Teller nicht mehr.

Für die Analyse dessen, was "Giveaway" bedeuten kann, bildet diese vergleichsweise frühe Aktion Kaprows einen Richtwert. Der Verzicht auf eine wie auch immer mit dem Objekt verbundene Botschaft trennt die Ebenen von Gebenden und Nehmenden fast völlig. Die Handlungen des Weggebens und des Mitnehmens geraten dadurch in den Blickpunkt des Interesses. Sie sind jedoch nur vorstellbar über die Distanz zwischen den beiden Fotos, sodass der eigentliche Akt des Mitnehmens offen bleibt.

"Fine!", eine dritte Aktion im gleichen Zusammenhang, verknüpft die beiden anderen Konzepte. Autos wurden im Parkverbot geparkt. Man wartete auf die Polizisten und fotografierte sie beim Verteilen der Knollen und wartete die Zusendung des Strafzettels ab. Anschließend übersandte man Foto, Strafzettel und Strafgeld an die Polizei. Das polizeiliche Verteilen von Strafen wurde durch diese Aktion zum Bestandteil des künstlerischen Konzepts, und anders als in den anderen Aktionen verknüpft die abschließende Zusendung des Materials an die Polizei die Ebenen von Geben und Nehmen, Akteur und Adressat. Schließlich bedient auch sprachlich der Titel "Fine!" mehrere Ebenen.

Eigentümlich ist allen drei Aktionen die enge Verbindung zu moralischen Kategorien. "Wie viele soziale Vorstöße, und wie alle kreativen Vorstöße, sind Happenings moralische Aktivitäten, auch schon wenn sie nur Absicht sind. Moralische Intelligenz – im Gegensatz zum Moralismus oder der Predigt – wird Realität in einem Feld zwingender Alternativen. Moralische Sicherheit tendiert dazu, am ehesten fromm und sentimental zu sein, am wenigsten pietistisch."

Ausgehend davon, dass Kunst immer einen ideellen und über das rein materielle hinausgehenden Anteil besitzt, ist die Idee des freiwillig und generös Weggegebenen ohnehin ein Bestandteil der Kunst. So verwundert es kaum, dass man bereits im beliebten griechischen Mythensumpf erste Belege für die künstlerische Beschäftigung mit der Idee des Weggebens von Kunst antrifft. Plinius der Jüngere berichtet vom Maler Zeuxis, der offensichtlich derart überzeugt von der Qualität seiner Kunst war, dass seiner Meinung nach jeder Preis der Welt dafür
Happening und Fluxus. Ausstellungskatalog Kölnischer Kunstverein, Köln 1970
zu klein gewesen ist.* Seine konsequente Schlussfolgerung war, dass er diese Kunst verschenken müsse. Mythen dieses Kalibers dienen heute immer wieder gerne als kulturpolitische Argumentationsmuster. Der potentierte und gleichzeitig nicht bilanzierbare Wert von kulturellen und materiellen Argumenten hält heute noch eine hoch subventionierte Produktion von Kultur über Wasser, die anderenfalls schon längst ähnlich unaktuell erscheinen müsste wie die Subventionierung der Kohleproduktion des Ruhrgebiets oder der Nudelproduktion Italiens. Letztlich stellt man sich den Künstler aber wegen seines hohen kulturellen Status auch immer gerne leichtlebig und freigiebig vor. Und nicht zuletzt ist dafür auch eine gewisse konzeptuelle Freigiebigkeit der Künstler im Umgang mit der Interpretation von Kunst verantwortlich. In der Folge von Duchamps Diktum, dass es doch die Betrachter seien, welche die Kunst vollständig selbst machen, hat man die Aufgabe der Bedeutungsfindung oft weniger selbst reflektiert als vielmehr an den Betrachter weiter delegiert. Aber war nicht auch das trojanische Pferd ein großes Giveaway multiplen Inhalts?
Plinius, Nat. hist. XXXV, § 61f.

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