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Sprayer von Zürich kann Graffiti nicht leiden Sprüh-Künstler von heute sind absolut phantasielose, unschöpferische Spiesser Von Bernadette Calonego in der Süddeutsche Zeitung München, 7. September 1995 Sie waren plötzlich massenhaft an Zürichs Betonwänden aufgetaucht: skurrile Strichmännchen, Spiralen, Augen, Spinnenfrauen - insgesamt mehr als zweihundert. Fieberhaft fahndete die Polizei nach dem unbekannten Sprayer von Zürich, der von 1977 an ganz illegal seine geheimnisvollen Kunstspuren auf öden Flächen hinterliess. Das Strichfiguren-Phantom, hinter dem sich der Künstler Harald Naegeli verbarg, wurde damals europaweit bekannt. In Deutschland ersuchte der helvetische Protestkünstler gar um Asyl. Eigentlich müsste der 56jährige Naegeli also als Urvater der Schweizer Graffiti-Bewegung gelten. Doch für die junge Wandmaler-Generation ist der sprayende Zorro aus Zürich ein Niemand. "Die wissen gar nicht, wer Naegeli ist", stellt Beat Suter fest. Der 33jährige Zürcher Kunsthistoriker hat zusammen mit zwei anderen jungen Leuten die Geschichte der Schweizer Graffitis in der Ausstellung "Anarchie und Aerosol" in Szene gesetzt. Im Historischen Museum in Baden bei Zürich findet man auch Naegelis künstlerische Fortsetzungsgeschichte: Kissenbezüge im Strichmännchen-Stil. Heute kreiert der einstige Anarchist der Betonwände nämlich Bettwäsche, "die für teures Geld einen traumhaften Schlaf garantiert", wie Beat Suter im Ausstellungskatalog spottet. Bettbezüge mit dem unverkennbaren Stil des Zürcher Sprayers werden für 500 Franken angeboten. Wer sich mit einem Badetuch des einstigen Schreckens von Zürichs Kleinbürgern abtrocknen will, muss 150 Franken hinblättern. Schon vor zwei Jahren hatte Naegeli Schränke für eine Möbelhauskette besprüht. Dabei hatte er noch Anfang der achtziger Jahre erklärt, seine "wertfreie Kunst" könne nicht vermarktet werden. "Das ist ein Verrat an der Graffiti-Kunst" "Das ist schon ein kleiner Verrat an der Graffiti-Kunst, die einen rebellischen Charakter hat", meint Beat Suter. Doch Naegeli findet: "Warum soll ich zwanzig Jahre später nicht eine andere Meinung haben?" Design sei schliesslich angewandte Kunst. Lang scheint's her, seit der Zürcher Sprayer Anfang 1981 von einem Zürcher Gericht zu neun Monaten Gefängnis und 100 000 Franken Busse verurteilt worden war. Naegeli habe es verstanden, so urteilte der Staatsanwalt damals, "über Jahre hinweg mit beispielloser Härte, Konsequenz und Rücksichtslosigkeit die Einwohner von Zürich zu verunsichern". Heute wird das in Zürich etwas anders gesehen. Die übriggebliebenen Wandzeichnungen Naegelis, der nun in Düsseldorf lebt, werden bei Fassaden-Erneuerungen sorgfältig ausgespart. Und auf einem offiziellen Kunstführer der Stadt figuriert seine Spinnenfrau gleich neben Henri Moores Plastiken und Tinguelys Maschinen. Für die umstrittene Graffiti-Kunst der neunziger Jahre hat Naegeli trotz seiner Vergangenheit keine Sympathie. "Das ist so ereignislos, wie jemand, der in ein Auto hineinsteigt und den vorgeschriebenen Weg abfährt", moniert er. Die heutigen Graffiti-Künstler seien "absolut phantasielose, unschöpferische Spiesser". Da gebe es keine Botschaft, keinen Protest. "Vielleicht darf der grosse Naegeli so etwas sagen", kommentiert Ausstellungsmacher Suter ironisch, "schliesslich hat er seine Portion an Rebellion geleistet." |
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