Texte aus dem Jahr 2004
 
H.B. Schossig
Stahl & Uhr
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Kater-Glossar
von Johannes Stahl (JS). Harald Uhr hat seinen Beitrag nie geschrieben...

Dienstleistung
Für Kunst ist es ziemlich ungewöhnlich, sich mit den Gedanken und Gefühlen von gewöhnlichen Menschen zu beschäftigen. "Wie im Film" sagte mein Bruder, der als Interviewschnipsel gewöhnlicher Menschen am 11.9.01 in der Tagesschau zu sehen war, und damit benannte er einen Grund, weshalb gewöhnliche Menschen nicht allzu oft in Kunstprozessen vorkommen: Filmen, Musik, Literatur und Bildern glaubt man eher, Gültiges über Gefühle sagen zu können. "I KNOW HOW YOU MUST FEEL BRAD", sagte eine Comicschönheit in Roy Liechtensteins Gemälde.

Aber es gibt Hannes Kater. Er liess sich von jedem eine Begebenheit schildern und die "Gedanken und Gefühle dazu". Diese eingesammelten
Texte setzte der "Zeichnungsgenerator", wie sich Kater auf seiner Home-
page selbst benennt, als Zeichnung um, versandte sie sogar auf eigene Kosten an den Ideengeber, der in diesem Fall eben nicht der kreative Spezialist aus dem Kultursektor war, sondern ein Jedermann.

*   Rühmkorff, Peter: Über
das Volksvermögen.
Frankfurt/M 1967.
"Volksvermögen" nannte das Peter Rühmkorff* auf der Suche nach ei-
ner – zumindest möglichen – Basis von Kultur, die er 1967 (zwei Jahre nach Katers Geburt) eher in anarchischen Elementen fand. Heute geht es auch in kulturellen Dingen wesentlich stärker nach den globalen Regeln
der Dienstleistungsgesellschaften zu. Dienste sind normalerweise nicht
nur kostenpflichtig, sondern als wichtigste heutige Handelsware auch das Rückgrat des Prinzips Wirtschaft. Wenn Hannes Kater allein durch seine kostenlose Versandaktion solche Spielregeln auf den Kopf stellt, hängt
das nicht nur mit der Utopie einer Kommunikation auf gleicher Augen-
höhe mit dem Besucher zusammen.
Es geht auch um eine ihm offensichtlich angeborene Skepsis gegenüber dem immer mächtiger werdenden gesellschaftlichen Credo an die Kommerzialisierbarkeit aller Werte.

Bildwelten – zu den Auftragszeichnungen*
Problemfrei, einfach, klar und wahr setzen Katers Zeichnungen die Vorlagen [die Auftragstexte] keineswegs um. Zwar ist, was man sieht, mit sicherem Strich angelegt. Mit den nur zwei, maximal vier Farben entwirft Kater seine Arbeiten auf Standardformaten wie Din A4 oder dem ameri-
*   Infos zu den Auftrags-
zeichnungen hier.
**   Erläuterungen zu den
Darstellern und ein Dar-
stellerlexikon sind hier
zu finden
kanischen letter. Das scheint zunächst ein weiterer Schritt in die Richtung einer möglichst allen Menschen gemeinsamen universalen Zeichensprache zu sein, an deren ständiger Konstruktion Pictogrammentwickler und Cartoonisten ebenso einen Anteil haben wie zentrale künstlerische Positionen seit der Moderne. Diese Bildsprache bleibt bei Kater aber nicht in erster Linie auf Einfachheit und Lesbarkeit hin angelegt, sondern wird - gewissermaßen von alleine - komplex. Als System von zeichnerischen Symbolen setzen diese "Darsteller"** Inhalte der Zuschriften um, ver-
knüpfen diese Gebilde mit neu gefundenen Formen, mit organischen Vorgängen und kompositorischen Überlegungen. So entstehen auf dem Papier Zwitterwesen, die es eigentlich nicht geben darf: Gefühlsorgani-
gramme, Erlebniskonstruktionen
***, Organverwicklungen. Was zunächst wie ein nettes neues Tool der Dienstleistungsgesellschaft daherkam, konfrontiert den schriftlichen und ursprünglichen Urheber mit einem visuellen Anspruch, der Zeit sowie Konzentration einfordert und dennoch Geheimnisse behält: mit Kunst eben. Die Reaktionen sind zwiegespalten: Möglicherweise hatte man letztlich Anderes gefühlt und erlebt als die Bilder umsetzen und fühlt ein gewisses Unbehagen an der Art, wie dieser Auftrag zur Ausführung kam. Oder man sieht die Zeichnung als individuellen Widerhall der eigenen Worte, bestenfalls als Rundum-Veredelung. (JS)

***  Erlebnis-Re-kon
struktionen...
*   Simmel, Georg: Der Bilder-
rahmen, ein ästhetischer
Versuch (1922). In: Zur
Philosophie der Kunst,
Postdam 1922.
Framesets
Seitdem sich Georg Simmel mit
Rahmenfragen befasst hat*, werden die Moden der Bildeinfassungen auch unter theoretischen Blickwinkeln gesehen. Ob Metall oder Holz, ob Abstandsleiste, Passepartout, freigestellt: solche Fragen bedeuten immer auch etwas für das so präsentierte Kunstwerk. Und dabei ist noch nicht einmal über die Farbe oder die Materialität gesprochen. Wer einmal mit offenen Augen in einer Bilderleistenkollektion gestanden hat, kann zumindest eine Ahnung entwickelt haben, was man mit diesem klassischen Schlagbaum zwischen der Realität im Bild und jener der Außenwelt auch alles anrichten kann. Gerahmt wird in aller Regel erst, nachdem man Kunst gekauft hat, und die Rahmung ist eine zweite Aneignung, setzt sie doch das Kunstwerk in Beziehung zu einem individuellen Geschmack.

Kein Wunder, wenn in musealen Situationen Künstler selbst die Rahmen als Beeinträchtigung der künstlerischen Aussage ablehnen: gerade Papierarbeiten können an solchen Rahmen-Bedingungen ersticken. Für Hannes Kater ist es wiederum symptomatisch, wenn er diesen Konflikt als Chance sieht und Rahmungsaufträge an die verschiedenartigten Richtungen auslöst. Wie in einer Mustermesse entsteht so eine dialogische Situation, über die Interaktion hinaus, die vielen von Katers Zeichnungen ohnehin schon innewohnen. Und es ist keineswegs uninteressant, das Echo aus der Praxis der professionellen Autratisierer: "Das Original sollte so angebracht sein, daß es den Bilderrahmen und die Rückwand gar nicht zu berühren scheint und gewissermassen schwebt." "Wir müssen sehen, welche Farben in der Zeichnung sind, und dann nach Rahmen suchen, die dem antworten, ohne dabei das Kunstwerk zu dominieren." "Wie lange haltbar sind denn Farbkopien heute? Den Rahmen machen wir jedenfalls so, dass die Arbeit über eine möglichst lange Zeit optimal geschützt ist." Bildeinfassungen sind auch heute noch immer auch ein Stück Kunsttheorie. Daß dieser Teil der Ausstellung in den Räumen der Artothek präsentiert wird, ist kein Zufall. Bewußt reagiert Kater auf die Rahmenbedingungen einer Kunst an jeden verleihenden Einrichtung. Nicht nur die Bilderrahmen selbst antworten dabei in ihrer eigentümlichen Vielfalt der aus praktischen Gründen üblichen Standardleiste. Auch das Prinzip der "Petersburger Hängung", die häufig in solchen Zusammenhängen eines Bildarchivs vorkommt oder sogar die Stapel gerahmter Bilder finden ihre Entsprechung in Katers Inszenierung seiner Arbeiten in der Artothek. Und nicht zuletzt der stark auf Kommunikation angelegte Charakter von Hannes Katers Kunst macht gerade an dem Ort Sinn, wo zahlreiche Nicht-Profis bei der Rückgabe entliehener Bilder von ihren Wegen zur und mit der Kunst berichten. (JS)

Wurzelwerke
Katers Herangehensweise an künstlerische Situationen wie Ausstellungen, Reisen oder auch Kunst am Bau funktioniert nach dem Prinzip einer symbiotischen Wechselwirkung. In einem stets längerfristigen Annäherungsprozeß bezieht Kater verschiedenartige Faktoren wie die städtische Situation, institutionelle Besonderheiten und Raumstrukturen ein, um sie dann auf eigene Weise zu interpretieren und schließlich auch zu ändern. So verschließt er einen wenig offen wirkenden Eingang des Bonner Kunstvereins mit Styropor noch deutlich mehr und erzeugt gleichzeitig eine Guckkastenbühne, die neugierig macht auf den Grund dieser Verschlossenheit [Abbildungen hier und hier]. Zu einem gleichzeitig mit seiner Ausstellung stattfindenden Städtebauworkshop eingeladen, reagiert er auf seiner Homepage mit der Diskussion von Graffiti im Planungsgebiet [hier]. Gleichzeitig gestaltet er ein Architekturmodell als "Kunst am Bau" [Abbildungen hier] und taucht so mit seinen eigenen Erfahrungen gleich in zwei Diskussionen ein: über solche Planungsprozesse und über die Rolle des Künstlers am Bau. (JS)

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