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Online-Version des Darsteller-Lexikons: Version 3.0.1
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Ein lebendiges System des Denkens und Zeichnens
Weil die Entwicklung der Darsteller von Hannes Kater auch nach 30 Jahren im Fluss und noch lange nicht abgeschlossen ist, ist eine Online-Version des Darstellerlexikons die beste Lösung.
Die nun aktuelle Version eines Lexikons der Darsteller hat das erste Mal eine 3 vorne als Versionsnummer!
Ein, nicht ganz so aktuelles, PDF kann man hier herunter laden.
Besonders die Empfänger der Auftragszeichnungen, also der nach Textvorlagen der Auftraggeber von Kater erstellten Zeichnungen, regten immer wieder eine Veröffentlichung, ein Lexikon, zu den Darstellern an, um den Übersetzungs- und Umsetzungsprozeß ihrer Texte in Zeichnung besser nachvollziehen zu können.
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Schriftbildlichkeit bezeichnet die visuell-ikonischen Dimensionen von Schrift und Notation jenseits ihrer sprachlichen Funktion. Zentral ist die Beobachtung, dass Schriften die "Zweidimensionalität der Fläche" nutzen und damit das "Linearitätsprinzip" der gesprochenen Sprache durchbrechen. |
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Die Berliner Philosophin Sybille Krämer (*1951) entwickelte das Konzept der "Schriftbildlichkeit" als Kritik des "phonographischen Vorurteils" - der Annahme, Schrift sei lediglich fixierte Sprache. Krämers einflussreichste Intervention liegt in der Erkenntnis, dass Notationssysteme eigenständige, nicht-sprachliche Dimensionen haben und als "Operations- und Laborräume" für Erkenntnis funktionieren. Ihre Arbeiten zu "operativer Bildlichkeit" haben die deutsche Medientheorie maßgeblich geprägt.
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Varianten des Darstellers *01 Gehirn |
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Das Lexikon dokumentiert ein über dreißig Jahre gewachsenes Notationssystem für den Einsatz in Zeichnungen. Die "Darsteller" sind jedoch weit mehr als Zeichen einer Bilderschrift sie sind Akteure in einem dynamischen Bedeutungsökosystem, das die Grenzen zwischen Denken und Zeichnen, zwischen Bild und Sprache auflöst.
Was sind Darsteller?
Die Darsteller waren von Anfang an nicht als reine Bilderschrift-Zeichen konzipiert, sondern als eine zweite Ebene als eine Ergänzung zu den normalen Möglichkeiten der Zeichnung. Sie verhalten sich wie Schauspieler auf einer Bühne: Sie agieren miteinander, beeinflussen sich gegenseitig und entwickeln in einer Szene auf dem Papier ein Eigenleben, das über ihre ursprüngliche "Rolle" hinausgeht.
Man kann die Darsteller sehr differenziert einsetzen:
- durch die Zeichengröße (Bedeutungsgröße)
- durch verwendete Farben (Bedeutungsfarbe)
- durch nicht-lineare Verknüpfungen mit anderen Darstellern und Elementen der Zeichnung
Wichtig: Es handelt um ein visuelles Zeichensystem, das nicht linear organisiert ist, also nicht um eine Notation von Sprache. Bedeutungen über die einzelnen Darsteller hinaus entsteht durch räumliche Beziehungen, wie Nachbarschaft und Reihung, und Kontexte, Kontextualisierungen und durch Bezüge zu "Realitätsfragmenten" in den Zeichnungen, also erkennbar abgebildeten Details, wie etwa einer Hand, einem Auto oder einem Kopf.
Dieser Ansatz hat einige Parallelen zu dem Konzept der Schriftbildlichkeit* von Sinne Sybille Krämer**.
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Lebendige Zeichen
Wenn man bei verschiedenen Zeichnern den gleichen Darsteller aus seinem Kontext isoliert etwa den leicht erkennbaren *01 Gehirn [siehe Abbildung rechts] stellt man fest: Wie fern auch immer die Linien allem liegen mögen, was an ein Gehirn erinnert, der Darsteller erwacht bei jedem Zeichner auf eine eigene und besondere Art zum Leben.
Wir sehen mal ein smartes, mal ein kleinliches Gehirn, ein verkrampft wirkendes, ein boshaftes oder unpräzise denkendes Hirn, ein ängstliches, tollpatschiges oder hilflos operierendes Gehirn, ein vertrocknetes oder ungeduldig vorwärts denkendes Gehirn.
Evolution der Bedeutungen
Die Darsteller entwickeln sich. Was 1995 als "großes Gehirn" für schlaues Denken stand, wurde zu "Brothirn" für archaisches, instinktgeleitetes Denken. Der Darsteller *37 Hirnzerbe, die Bezeichnung für das Notationssystem, entstand erst 2018, als das System groß genug wurde, um sich selbst zu reflektieren. Und der Darsteller *45 Kunst wandelte sich von "Kitsch" (2014-2018) zu "künstlerischem Denken" ein Prozess der (nicht nur) semantischen Pejoration, der gesellschaftliche Transformationen widerspiegelt.
Diese Evolution zeigt: Die Darsteller sind keine starren Symbole, sondern lebende Zeichen, die auf Veränderungen reagieren in der Gesellschaft, in der Technologie und im persönlichen Verständnis des Zeichners.
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Einfachheit und Komplexität
Die Darsteller werden weder konjugiert noch dekliniert. Für die Formen erinnern, erinnerte, sich erinnernd gibt es nur einen Darsteller, eine Grundform. Auch für Buch, die Bücher, den Büchern, des Buches benötigt es nur einen Darsteller.
Der Kontext verdeutlicht Tempus und Modus, Kasus und Numerus - mit grammatischen Überflüssigkeiten hält sich das System nicht auf. Diese strukturelle Einfachheit ermöglicht komplexe relationale Bedeutungen: Ein *02 Herz neben einem *25 Willkomm bedeutet etwas anderes als ein *02 Herz auf einem Pfeil (Darsteller *27 wollen).
System ohne Grammatik
Eine systematische "Grammatik der Zeichnungen" zu entwickeln ist kaum durchführbar und auch nicht nötig. Entweder würde die Darstellung der Darsteller leiden, oder die Grammatik wäre zu starr für ein System, das von Emergenz und Improvisation lebt.
Jenseits des "phonographischen Vorurteils"
Das System funktioniert nicht wie Sprache das ist kein Mangel, sondern seine Stärke. Es überwindet das "phonographische Vorurteil" (Sybille Krämer), wonach Notationen nur aufgeschriebene Sprache seien. Die Darsteller nutzen die Zweidimensionalität der Fläche, brechen mit dem Linearitätsprinzip der Zeit. Sie schaffen einen stabilen Schriftraum, der nicht nur Sachverhalte darstellt, sondern als Operations- und Laborraum für Bedeutungen funktioniert.
Die Macht der Darsteller liegt gerade darin, dass sie operative Bildlichkeit ermöglichen: Sie machen nicht nur Denkverläufe sichtbar, sondern werden selbst zu Denkwerkzeugen. Das Papier wird zum Operationsraum für Systeme von Handlungsweisen.
Relationale Ontologie
Die Bedeutungen entstehen nicht durch Bezeichnung isolierter Objekte, sondern durch das dynamische Zusammenspiel der Darsteller in konkreten Kontexten. Jede Zeichnung ist ein prozessualer Erkenntnisakt eine temporäre Konstellation von Beziehungen, die neue Bedeutungen emergieren lässt.
Das System ist bewusst anti-foundationalistisch: Es gibt keine letzten Grundelemente, sondern nur sich transformierende Relationen. Die Darsteller entwickeln Familienähnlichkeiten, überlappen sich, bilden Cluster ohne feste Grenzen.
Selbstreferenz
Mit der Einführung des *37 Hirnzerbe im Jahr 2018 erreichte das System eine neue Entwicklungsstufe: Selbstreferenz. Zum ersten Mal konnte das System sich selbst benennen und damit in seine eigenen Zeichnungen einzeichnen. Wie das Wissen um das Alphabet erst das Erfinden von Anagrammen möglich macht, eröffnete Hirnzerbe völlig neue Meta-Operationen.
Der Darsteller *37 Hirnzerbe ermöglichlicht:
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Systemreflexion: Das System kann über seine eigene Praxis reflektieren |
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Recursive Kombinationen: Hirnzerbe + andere Darsteller = neue Bedeutungsebenen |
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Transparenz: Das System wird sich seiner eigenen Konstruiertheit bewusst |
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Kritische Distanz: Das System kann sich selbst hinterfragen |
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Experimentelle Selbstbezüglichkeit: Wie John Cages experimentelle Notationsmethoden oder Cornelius Cardews "Treatise" mit seinen 193 Seiten graphischer Notation |
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Diese autologische Dimension ein Zeichen, das das Zeichensystem selbst bezeichnet verwandelt das Darstellerlexikon von einem Werkzeug in ein Medium zweiter Ordnung: Es beobachtet sich beim Beobachten.
Ein Medium für unsere Zeit
Wir leben in einer Welt der reichen Komplexität. Das ist kein Problem, das gelöst werden muss, sondern ein Reichtum, der navigiert werden will.
Die Darsteller versprechen keine falsche Vereinfachung. Sie sind Werkzeuge für die Navigation in der Fülle der Bedeutungen. Während traditionelle Schriften linear organisiert sind, entsprechen sie der vernetzten Logik unserer Zeit. Sie funktionieren wie symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien im Sinne Niklas Luhmanns: Sie schaffen Anschlussmöglichkeiten für weitere Kommunikation und machen gesellschaftliche Bedeutungsproduktion sichtbar.
Sie bieten ein alternatives Erkenntnismedium eines, das Weltverständnis als Raumverständnis begreifbar macht. Wer so zeichnet, entwickelt andere Konzepte als Nicht-Zeichner und trägt zur Evolution unserer symbolischen Praktiken bei.
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Wie lernt man die Darsteller?
Die fremden Zeichen werden leichter erfasst, wenn ihr ideographisches Element nachvollziehbar gemacht wird. In den heute benutzten Formen der Darsteller ist dieses Element oft verdunkelt, verwischt, zum Teil auch ausgemerzt - aber durch Hinweise rekonstruierbar.
Dasrsteller *01 Gehirn entwickelte sich aus einem Taschentuchknoten. Darsteller *02 Herz ist (auch) abgeleitet von der Form ägyptischer Kanopengefäße. Wer das weiß, kann sich das Aussehen der Darsteller leichter einprägen.
Und darum gibt es zu jedem Lexikoneintrag eines Darstellers etymologische Hinweise und die Darsteller müssen so nicht als willkürliche Symbole erlernt werden. Neugierige, die so eingeführt wurden, äußerten immer wieder, wie viel leichter ihnen das Verstehen fiel.
Aber Vorsicht: Die Etymologie ist nur der Einstieg. Die Darsteller entwickeln ein Eigenleben. Sie wandeln ihre Bedeutungen, kombinieren sich neu, überraschen ihren Schöpfer.
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Schlußwort
Jede Fassung des Darstellerlexikons ist ein Dokument der Unmöglichkeit seiner eigenen Vollständigkeit und läßt die von Illusion der Kontrollierbarkeit eines solchen Systems gar nicht erst aufkommen.
Und: die Lücken im System sind auch Selbstporträts des Entwicklers. Sie zeigen nicht nur, wie Kater die Welt sieht, sondern auch, was er nicht sehen kann oder nicht sehen will.
Was fehlt, ist oft genauso wichtig, wie das, was da ist.
Dieses Lexikon dokumentiert einen Versuch den Versuch, ein Notationssystem für das zu entwickeln, was zwischen den Dingen und Positionen geschieht. Für das, was mit Worten nicht so ohne weiteres zu sagen ist.
Es ist eine Einladung zum Experimentieren mit einem System, das nicht fertig ist und nie fertig sein wird. Einem Operations- und Laborraum für Bedeutungen, der die Zweidimensionalität der Fläche nutzt statt der Eindimensionalität der Zeit.
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Online-Version des Darstellerlexikons: Version 3.0.1 (Stand: 2025).
Die Entwicklung der Darsteller ist im Fluss und noch lange nicht abgeschlossen.
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