Projekt Nr. 18
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Material:
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04.04.2001
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Der Zeichnungsgenerator in New York City  –  Bericht 1
Mit dem Peter Voigt Reisestipendium in New York City
13.12.2000  –  18.12.2000

Also – stell dir folgendes vor:
im drittgrößten Gebäudekomplex von NYC, in der 26th St, 601 W, gibt die Firma Hugo Boss im 15. Stock eine Party... und auf der ziemlich großen Terrasse, die komplett voll ist mit künstlichem Schnee und echten Tannenbäumen und von der man einen phantastischen Blick über NYC hat... stehe ich – und rede mit, z.B., einem Moderedakteur von irgendeiner Zeitung und seiner charmanten Begleitung aus Dänemark, etwas verschwitzt und nicht begreifend, dass ich hier in NYC meine (Plural - auf jeden Fall!) Meister in Sachen Unverbindlichkeit gefunden habe: von wegen Rücksicht nehmen auf den Begleiter... 'ne viertel Stunde später schob sie mit einem andern Typen, einem eleganten, sehr reduziert tanzenden und durchaus vergeistigt wirkenden Schwarzen ab – um dann wieder eine Stunde später sehr schlecht gelaunt an mir vorbeizustapfen... da war ich dann aber gerade am Gehen und durch anderes – meine Güte, ich glaube ich bin noch naiver als ich dachte – Gesehenes stark beeindruckt. Nassgeschwitzt – ich habe sogar auf der Showbühne getanzt – und nur mäßig angetrunken (Gin Tonic – natürlich für frei, dank Hugo), machte ich mich auf'm Heimweg. Über den Abend habe ich ziemlich absurde Gespräche geführt und auch ganz folgenlos irgendwie beendet. Und unglaublich viele schöne Menschen gesehen. Und Frauen, die wirklich so aussahen, als könnten sie als Problemlösung auf den Hinweis, dass das Volk hungert, weil es kein Brot hätte, vorschlagen, ihm doch Kuchen zu geben. Schöne Gesichter und Frisuren, die förmlich nach Geld und Wohlstand stanken... doll.

II.
Eine Szene vom Union Square:
ein kleiner Aufsteller (nach dem Sandwichprinzip), dicht an der Bordsteinkante platziert und etwa einmeterfünfzig hoch wirbt für die Salvation Army mit etwa diesem Text: "Etwas zu teilen bedeutet Verantwortung zu übernehmen". Daneben steht dann ein Mann, der die ganze Zeit (ich war etwa 20 Minuten in hörweite) ununterbrochen eine Bimmel bimmelte, also ein kleines Glöckchen schwang. Das nun eigentlich beeindruckende war eine blaue Schürze, die er umgebunden hatte und auf der groß, in weißen Buchstaben, stand: I am the bell man.
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III.
In Chinatown, in der A.B.C. SHOPPING MALL (was für ein schöner Name!) in der Canal Street @ Broadway spielten sie, als ich da durchlief, "Brother Lui" von Modern Talking. Diese Mall ist übrigens ein etwa 5 Meter breiter und 40 Meter langer Schlauch mit Chinesen-Nippes, Baseballcaps, Goldschmuckständen und Handtaschen sowie Rucksäcken, die von der Decke hängen. Links und rechts, gleich neben dieser "Mall" und auf der anderen Straßenseite und um die Ecke gibt es etwa 30 weitere - mit annähernd dem gleichen Angebot. Nur "Brother Lui" lief einzig in der A.B.C. Mall - meiner Lieblingsmall.


IV.
Neben dem lustvoll gelebten Hedonismus – völlig ironiefrei und von keinerlei Zweifel angefressen – auf der Hugo Boss Party, gibt es hier natürlich alles andere auch – und noch dazu Qualitäten, die erst mal nichts mit Geld zu tun haben.
Da wäre als erstes das wunderbares Licht zu nennen. Du guckst morgens aus'm Fenster und denkst: schön. Einfach schön.

Gutes Licht hilft mir immer sehr beim Leben. Und ich vergesse immer wieder, nach einiger Zeit in Deutschland, wie toll Licht sein kann... auch in Amsterdam oder in Marseille ist das Licht anders und dann auch schöner als in Deutschland. Vielleicht kam Hitler nur wegen der bescheidenen Lichtverhältnisse in Deutschland an die Macht?

Zweitens: wenn du hier jemanden angrinst, bekommst auch du mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Lächeln zurück. Das macht richtig Laune.



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V.
Du guckst im P.S.1 aus'm Fenster - das P.S.1 Contemporary Art Center ist laut GEO-Special New York, und in anderen Publikationen wird es kaum anders beschrieben sein, "das Institut für zeitgenössische Kunst... Nirgendwo ist aufregendere, provokantere und innovativere Kunst zu sehen als in den alten Hallen und Korridoren der einstigen Public School..." - du guckst also im P.S.1 im 2. Stock, im second floor, aus'm Fenster und siehst in den Hof des Gebäudes, der bestückt ist mit einer kleinen Sauna-Box (ist Kunst, soll Kunst sein, bzw. soll im Kunstkontext rezipiert werden. Man muss das ja vorsichtig formulieren heutzutage - aber Scheiße ist es alle mal. Klar. Ist ja auch zu lustig, im verregneten New Yorker Winter irgendwelche Kunstdeppen nackig vor dem Teil rumturnen zu sehen.) und blöden Geschenke-Würfeln (auch Kunst), mehr als Scheiße, also unteres Grundklassenniveau). Der Hof hat ansonsten den Charme (hui, wir sollten es ein bißchen mehr aussehen lassen wie Avantgarde...) eines Gefängnishofs: gut fünf Meter hohe Sichtbetonwände und ein paar spitze Winkel noch dazu, damit es richtig ungemütlich wird.

Du guckst also aus'm Fenster des P.S.1 und siehst: einen Regenbogen. Groß und strahlend. Und: es ist kein Trick. Das ist ja schnell geklärt – witzigerweise scheinen alle, die den Regenbogen auch bemerken, das erst zu prüfen, um dann erleichtert zu staunen. Klar ist der besser als alles im P.S.1. Der Bogen beginnt irgendwo hinter den Friedhofsmauern des P.S.1 und geht mit mächtigen Schwung über das Hochhaus der Citibank - die Bank, die immer so falsch geschrieben aussieht und so richtig Scheiße sein soll. Der Bogen ist also nicht nur mächtig schön vor dem frühabendlichen New Yorker Himmel - er weist auch gleich auf die wesentlichen Verbindungen hin.

Noch nie war Avantgarde so abgeschmackt, geldgeil, spekulativ und – das ist das schlimmste und deprimierendste: langweilig. Jawohl.
Und es ist klar, das es gar nicht anders sein kann. An diesem Ort. In dieser Stadt. Zu diesen Bedingungen.

Sonntag, mein erster Regen in New York. Richtiger Regen – einer von der Sorte, der dir keine 20 Meter Zeit lässt unter das nächste schützende Vordach zu gelangen.

Ich war zur 57igsten Straße hochgefahren, Ecke 8. Avenue. Dort ist eine Filiale einer größeren Computerladenkette. Ein guter Ort, um die Preise für Computerkram hier zu checken – und vielleicht doch noch einen Brenner zu kaufen...

Wie fast überall, sind auch hier die Angestellten mit irgendeiner hauptsächlich roten Uniform bekleidet (denk z.B. an Stapels). Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses viele Rot auf irgend jemanden seriös oder verkaufsfördernd wirkt - übersehen kann man die Verkäufer eh nicht, weil sie einem dazu gar keine Zeit lassen: sie stürzen sofort auf einen zu und fragen, wie sie einem helfen können. Und in der Regel gibt es in jedem Geschäft - in den besseren Gegenden Manhattans – so viele von ihnen, dass man ihnen nicht entkommt.

So war auch irgendwann meine Fantasie erschöpft, worüber sie mich beraten könnten - in den vielen Geschäften, in denen ich vor dem Regen Zuflucht suchte. Besonders unangenehm war mir immer die Situation, wenn sie das, was ich vermeintlich suchte, auch hatten und mir nun natürlich verkaufen wollten. Da blieb mir dann nur den Laden zu verlassen, um, durch den Regen hastend, mir eine neue Geschichte für das nächste Geschäft auszudenken.

Und so probierte ich es stattdessen mal mit einer Kirche. Dort wurde ich dann auch nicht in Ruhe gelassen - aber es war ziemlich klasse: noch nie wurde mir so oft ein guter Tag gewünscht, sich nach meinem Befinden erkundigt (nun ja: how are you? Fine. And you? ...) und mir noch dazu frohe Weihnachten gewünscht: die Gemeinde, hauptsächlich Schwarze, versammelte sich gerade zur Weihnachtsfeier. Schön. Auch war es nett, eine schöne, schwarze junge Frau zu beobachten, die deutlich unwillig ihrer fetten Mutter folgte, deren Argument, auf der Weihnachtsfeier seien sicherlich auch interessante junge Männer, bei der Tochter eine Mischung aus Scham und Augenverdrehen hervorrief. Das es so was noch gibt! Was heißt noch... das es so was je gab! Wie aus'm Film – das denkt man hier häufiger. Oft ist man ganz sicher, dass gleich - wie war doch eben noch der Filmtitel? - das man gleich auf den Film kommt, in dem man das eben gerade doch schon mal gesehen hat. Halbe Tage scheinen aus Szenen von ein paar Filmen montiert zu sein.
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Und das ist nun das wirklich dolle: Amerika ist genauso, wie man es im Fernsehen gesehen hat.
Die simple Ursache dafür ist, dass die Amerikaner, also die US-Amerikaner, ein gut im Fernsehen oder Film abbildbares Leben leben, sie also strukturell den Möglichkeiten des Mediums entgegenkommen. Der Europäer hingegen lebte und lebt immer noch, mehr textgerecht.

Es hatte also den ganzen Tag geregnet und ich kam ziemlich durchnässt, aber trotzdem gutgelaunt, zum P.S.1. Das liegt in Queens, ist recht gut mit der Subway zu erreichen und doch in einer ganz anderen Welt. Mein erster Ausflug raus aus Manhattan. Um das P.S.1 eine erstaunlich unhomogene Bebauung und Nutzung: vom auf edel getrimmten Bürogebäude bis Industriebrache ist alles dabei. Wenn man das so sieht, ist schwer vorstellbar, dass die Bodenpreise und Mietpreise – auch hier noch! – zu den höchsten der Welt gehören.

Aber weil das so ist – und weil Klaus Biesenbach (von den Kunstwerken Berlin, Auguststraße/ verantwortlich auch für die Berlin Biennale) hier im P.S.1 "Curator" ist – kann es eigentlich nur Scheiße sein. Immerhin kann ich mich noch an der Logik solcher Strukturen ergötzen... so was hat ja auch irgendwie mit Schönheit zu tun.

So kommt es, dass man die unvermeidlichen Chapman-Brüder (professionelle Arschlöcher und Produzenten von Flachware), zusammen mit den oft mißbrauchten Radierungen von Goya und Arbeiten von einem gewissen Henry Darger – dessen Zeichnungen so aussehen, als hätte die jemand in den letzten Jahren gezeichnet und sich dann, zur besseren Vermarktung der Arbeiten, die Figur des armen Teufels Darger ausgedacht: irre und praktischer Weise schon tot – in einer Show, genannt "Disasters of War" zu sehen bekommt.

Das der Biesenbach so erfolgreich ist, kann nur mit der Unfähigkeit und dem Masochismus der anderen zu tun haben. Das muss man doch ändern können!?


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